03 - Tod im Skriptorium
ermitteln. Er berichtete seinem Bruder Noé, daß er am nächsten Tag nach Sceilig Mhichil aufbrechen werde, um sie dort zu finden.«
»Meinst du damit, daß er getötet wurde, weil man ihn daran hindern wollte?« fragte Barrán.
»Er wurde getötet, weil man fürchtete, er würde Illans Erben Schaden zufügen.«
»Aber du hast doch erklärt, die Söhne Illans wären bereits aus Sceilig Mhichil abgeholt und Schwester Eisten in Obhut gegeben worden. Stimmt das nicht?«
»Die Geschichte wird kompliziert. Als Illan getötet wurde, gab man seine Söhne einem seiner Vettern in Pflege, der sie aufziehen sollte.«
Fidelma fuhr herum und zeigte auf die Bänke, wo die Angehörigen der Abtei saßen.
»Es war Bruder Midach aus dieser Abtei, der der Pflegevater der beiden Jungen wurde, die man in Sceilig Mhichil als Primus und Victor kannte.«
Midach saß unbewegt da. Auf seinem Gesicht war ein leichtes Lächeln eingefroren. Er schwieg. Fidelma fuhr fort: »Dacán glaubte, Illans Vetter Pater Mel von Sceilig Mhichil sei der Pflegevater. In der Hinsicht hatte er das Testament nicht sorgfältig genug gelesen. Darin heißt es eindeutig: ›Die Entscheidung des Ehrenwerten bestimmt die Pflegschaft meiner Kinder.‹ Weiß hier nicht jeder, daß der Name Midach ›der Ehrenwerte‹ bedeutet? Midach wurde als aite oder Pflegevater der Söhne Illans eingesetzt.
Entweder aus Mißtrauen oder durch Zufall las Midach die Aufzeichnungen Dacáns in der Bibliothek und erkannte, daß der alte Gelehrte nach den Kindern Illans suchte. Dacán überraschte Midach, als der in seinen Aufzeichnungen las, und sie gerieten in Streit. Bruder Martan kann das bezeugen. In Sorge um seine Schützlinge verließ Midach die Abtei noch am selben Abend und fuhr nach Sceilig Mhichil. Er holte die Jungen dort weg und brachte sie zu Schwester Eisten, seiner früheren Schülerin. Er konnte sie danach noch ein paarmal besuchen unter dem Vorwand, das Dorf mit Medikamenten gegen die Gelbe Pest zu versorgen. Er wurde dort gesehen und mir beschrieben. Die wahren Namen der Kinder Illans sind Cétach und Cosrach. Würde man diese Namen ins Lateinische übersetzen, ergäbe das Primus und Victor, wie sie auf Sceilig Mhichil genannt wurden.
Midach war entsetzt, als er erfuhr, daß Intat Rae na Scríne überfallen hatte. Er glaubte, Dacán arbeite für Salbach und durch ihn für Scandlán von Osraige. Er wußte leider nicht, daß Grella an der Intrige beteiligt und Eistens Seelenfreundin war. Nach dem Überfall auf das Dorf stellte er fest, daß seine Schützlinge noch lebten und in der Abtei in Sicherheit waren. Er wollte die beiden Jungen aber außer Landes schaffen und bat Schwester Eisten, sich um eine Überfahrt mit einem Schiff zu kümmern.
Cétach, der ältere Junge, hatte erfahren, daß Salbach nach ihnen suchte. Als Salbach hierher kam, bat er mich deshalb inständig, weder ihn noch seinen Bruder dem Fürsten gegenüber zu erwähnen. Dann verschwanden beide.
Während Midach die Kinder versteckte, wollte Eisten eine Überfahrt auf einem Handelsschiff buchen. Erst geriet sie an das falsche Schiff, denn sie fragte einen Matrosen des Kriegsschiffs aus Laigin unter dem Kommando von Mugrón. Unglücklicherweise wurde sie dann von Intat entdeckt. Den Rest der Geschichte kennen wir. Trotz Folter verriet Eisten nicht, wo sich die Jungen befanden, und Intat erschlug sie aus Wut. Die Kinder mußten in ihrem Versteck bleiben, bis Midach sie in Sicherheit bringen könnte.«
Fidelma hielt inne, denn ihre Kehle war trocken geworden.
Barrán nutzte die Gelegenheit, um Midach etwas zu fragen.
»Leugnest du diese Geschichte oder einen Teil davon?«
Midach saß mit gekreuzten Armen reglos da.
»Ich bestätige sie nicht und leugne sie nicht.«
Der Oberrichter wandte sich wieder an Fidelma.
»Es gibt einen Punkt in deiner Erklärung, in dem ich dir nicht folgen kann. Du hast dich noch nicht zu Dacáns Tod geäußert, und so wichtig all diese Ereignisse auch sind, ist das doch der Hauptgrund für den von Laigin erhobenen Anspruch.«
»Dazu komme ich noch, Barrán«, versicherte ihm Fidelma.
»Midach verbarg Cétach und Cosrach hier in der Abtei, wo sie noch versteckt sind. Ich glaube, wir können sie jetzt ohne Gefahr aus der Grabstätte des heiligen Fachtna herausholen, denn sie stehen unter dem Schutz des Großkönigs. Ist es nicht so?«
Diese Frage war an Sechnassach gerichtet.
Der Großkönig beantwortete Fidelmas fragenden Blick mit einem knappen Lächeln.
»Sie
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