03 - Tod im Skriptorium
mußte. Und die Verantwortung dafür lastete ausschließlich auf ihr.
Wieder wünschte sie sich, Eadulf von Seaxmund’s Ham wäre hier bei ihr und sie könnte ihre Vermutungen und Verdachtsmomente mit ihm besprechen. Doch dann fühlte sie sich irgendwie schuldig wegen dieses Wunsches und begriff nicht, warum.
Das Zuschlagen einer Tür ließ sie sich rasch aufrichten. Sie hörte schwere, eilige Schritte auf dem Gang unten und dann auf der Treppe zum Obergeschoß des Gästehauses. Solche Schritte verhießen nichts Gutes. Als die Schritte ihre Tür erreichten, hatte sie sich schon vom Bett erhoben und stand der Tür gegenüber.
Es war Cass, der nach flüchtigem Anklopfen ins Zimmer stürzte. Er war völlig außer Atem.
»Schwester Fidelma!« keuchte er. »Schwester Eisten. Man hat sie gefunden.«
Sie starrte ihn an, las das Weitere in seinen Augen.
»Hat man sie tot gefunden?« fragte sie leise.
»Ja!« bestätigte Cass.
K APITEL 10
Die Leiche lag am Sandstrand unterhalb der Mauern der Abtei. Es dunkelte schon, doch eine Gruppe von Fischern und ein paar Mönche und Nonnen hatten sich aus Neugier darum versammelt. Mehrere von ihnen hielten Fackeln in den Händen, die den Schauplatz beleuchteten. Fidelma folgte Cass zu der Gruppe. Sie sah, daß Bruder Midach bereits dort war und die Leiche untersuchte. Ein Mönch mittleren Alters stand hustend neben ihm und hielt ihm eine Laterne. Wahrscheinlich Bruder Martan, der Apotheker. Der Arzt war offensichtlich von den Leuten gerufen worden, die Eisten gefunden hatten. Fidelma meinte in dem flackernden Licht zu erkennen, daß er sichtlich erschüttert aussah.
»Dräng die Leute ein Stück zurück«, wies Fidelma Cass leise an, »außer denen, die die Leiche gefunden haben.«
Sie beugte sich zu Bruder Midach hinunter und schaute ihm über die Schulter.
Schwester Eistens Kleidung war von Wasser vollgesogen. Das Seewasser hatte ihr Haar dicht an den Kopf und über ihr bleiches, volles Gesicht geklebt. Ihre Züge waren vom Entsetzen eines gewaltsamen Todes verzerrt. Ihr prachtvolles Kruzifix hing noch fest an ihrem Hals.
»Kein schöner Anblick«, knurrte Midach, als er Fidelma an seiner Seite bemerkte. »Halte die Laterne höher, Martan«, fügte er, rasch an den Apotheker gewandt, hinzu.
»Das ist ein gewaltsamer Tod nie«, murmelte Fidelma. »Hat sie Selbstmord begangen?«
Midach sah Fidelma einen Moment nachdenklich an und schüttelte verneinend den Kopf. »Was veranlaßt dich zu dieser Frage?«
»Sie erlitt einen Schock, als Rae na Scríne zerstört wurde, und sie war ganz niedergedrückt, als das Baby, das sie gerettet hatte, bald darauf starb. Möglicherweise hat sie sich die Schuld daran gegeben. Ich sah sie heute morgen, und da hatte sie sich noch nicht wieder erholt. Ein Raubmord war es offensichtlich auch nicht, denn sie trägt immer noch ihr wertvolles Kruzifix.«
»Ich glaube nicht, daß sie Selbstmord begangen hat«, erwiderte Bruder Midach.
»Woraus schließt du das?«
Bruder Midach drehte den Kopf des toten Mädchens leicht zur Seite und ließ Bruder Martan die Laterne näher heranhalten.
Da sah Fidelma die klaffende Wunde am Hinterkopf. Selbst das Seewasser hatte nicht alles Blut abwaschen können.
»Sie wurde von hinten angegriffen?«
»Jemand versetzte ihr einen Hieb auf den Hinterkopf«, bestätigte Midach. »Erst danach wurde die Leiche ins Meer geworfen.«
»Also Mord?«
Bruder Midach seufzte tief.
»Ich kann zu keinem anderen Schluß kommen. Dafür spricht nicht nur der Schlag auf den Hinterkopf. Wenn du starke Nerven hast, Schwester, dann sieh dir ihre Hände und Arme an.«
Fidelma tat es. Die Wunden und Brandmale sprachen für sich.
»Die hat sie sich nicht selbst beigebracht.«
»Nein. Sie wurde gefesselt und gefoltert, bevor man sie tötete. Schau dir die Stellen an den Handgelenken an. Sie stammen von Riemen. Als sie tot war, muß der Mörder ihr die Fesseln abgenommen und sie ins Meer geworfen haben.«
Wie betäubt starrte Fidelma auf die Leiche der unglücklichen jungen Frau.
»Wenn du erlaubst, Bruder …« Sie beugte sich vor, nahm die kalten Hände der Toten und untersuchte sie, besonders die Finger und die Nägel. Bruder Midach sah ihr neugierig zu. Fidelma blickte enttäuscht drein.
»Ich hatte gehofft, sie hätte sich gegen ihren Angreifer wehren und irgend etwas packen können, was uns einen Hinweis gäbe«, erklärte sie.
»Nein. Der tödliche Schlag traf sie wahrscheinlich, als sie es nicht ahnte«, sagte
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