0309 - Der Horror-Alchimist
stand immer noch im Hotelkorridor.
Hinter ihm wurden Stimmen laut.
»Gehören die Koffer Ihnen, mein Herr?« fragte eine ältliche Frau in Begleitung eines nicht minder betagten Mannes. Sie traten gerade aus dem Aufzug, der, von Zamorra unbemerkt, in der Zwischenzeit wieder in die Empfangshalle und von dort aus zurück in die dritte Etage gefahren war.
Ehe Zamorra antworten konnte, bemerkten die beiden Hotelgäste das Loch in der Wand.
Was folgte, war ein hysterischer Schrei.
Polizei.
Verhöre.
Untersuchungshaft.
Zamorra hatte sich seinen ersten Tag in Deutschland anders vorgestellt.
In diesem Deutschland.
Auf dieser Welt…
***
Im anderen Deutschland…
Nicole erwachte.
Sie lag gefesselt auf einer Holzpritsche, die jemand mit etwas losem Stròh gepolstert hatte.
Immerhin ein freundlicher Zug, wenn man die Entführung einmal außer acht ließ.
Aber genau das wollte Nicole nicht.
Sie hatte Wut im Bauch!
Und niemand, an dem sie sie hätte auslassen können!
Sie war allein. Von ihrem Kidnapper keine Spur. Der Raum, in dem die Pritsche stand, war nur ein kleines Kämmerchen mit einem winzigen Rechteckloch, das als Fenster und Lüftung diente, aber niemals einen ausgewachsenen Menschen durchgelassen hätte.
Die Tür des Gefängnisses machte ebenfalls keinen fluchtfreundlichen Eindruck. Sie war aus massiven Holzbohlen gefertigt, welche jemand kunstvoll mit Eisenschamieren beschlagen hatte. Ein Schloß war nicht daran zu erkennen. Wahrscheinlich befand sich außen ein Riegel.
Nicole suchte vergeblich nach einer künstlichen Lichtquelle. Das bißchen Helligkeit, das durch die Wandöffnung einfiel, reichte gerade, um die Ratten zufriedenzustellen, die fiepend und pfeifend zwischen dem spärlichen Mobiliar umherhuschten.
Nicole spürte eine Gänsehaut über ihren Nacken rieseln, während sie dem munteren Treiben der hungrigen Nager zuschaute.
Die Tierchen schienen sich wohlzufühlen.
Was man von Nicole nicht behaupten konnte.
Die junge Französin, die an Zamorras Seite schon manches haarsträubende Abenteuer bestanden hatte, machte sich keine falschen Hoffnungen.
Es sah nicht gut aus für sie.
Zumal sie nicht die geringste Ahnung hatte, wo man sie hingeschleppt hatte, und wer hinter ihrer Entführung steckte.
Stunden verstrichen, ohne daß sich etwas an ihrer Lage änderte. Irgendwann merkte sie nur, daß sie zu frieren begann. Sie trug ein aufregend geschnittenes, dunkel glänzendes Abendkleid, das mehr auf das Frankfurter Nachtleben zugeschnitten war als auf ihren jetzigen Aufenthaltsort.
Aber die Angst zu erfrieren war noch die geringste Sorge der Französin. Schon eher fürchtete sie die kleinen, wieselflinken Nager, die immer engere Kreise um die Holzpritsche zu ziehen schienen…
Und dann hörte sie plötzlich laute Schritte hinter der Tür der engen Kammer.
Wenig später wurde ein Riegel zurückgeschoben, und zum erstenmal fiel mehr als ein Hauch von Tageslicht in den spartanischen Raum.
Eine grobschlächtige Gestalt erschien im Lichtviereck. Mit ihr drang süßlicher, widerwärtiger Geruch in die Kammer, der Nicole schlagartig an die wenigen Momente erinnerte, die ihr von der Zeit nach dem Aussteigen aus dem Fahrstuhl bis zur Ohnmacht noch im Gedächtnis hafteten.
Die Gestalt verharrte einen kurzen Augenblick auf der Schwelle. Dann marschierte sie zielstrebig auf die Holzliege zu.
Der widerliche Geruch wurde intensiver.
Nicole kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, um den Mann besser zu erkennen. Aber erst als er direkt neben der Pritsche stehenblieb, gelang es ihr, das Gesicht aus dem Halbdunkel herauszufiltern.
In der selben Sekunde sprang sie die Angst an wie ein wildes Tier!
Allmächtiger, dachte sie entsetzt.
Der Kerl über ihr, dessen Gesicht fahl wie Schimmelpilz im Halbdämmer leuchtete, trug ein Stigma auf der Stirn, das ihr einen Schock versetzte, obgleich sie es nie zuvor gesehen hatte.
Das Zeichen sah aus wie mit Leuchtfarbe eintätowiert. Es zeigte drei Kreise, die in seltsamer Konstellation zueinander standen und von einer dünnen, kreuzförmigen Linie verbunden wurden…
»Das Kreuz der drei Monde«, flüsterte Nicole tonlos, ohne zu merken, daß sie ihre Gedanken laut aussprach. »Himmel!«
Der Mann beugte sich leicht zu ihr herab.
»Ruhe!« befahl er mit rasselnden Stimmbändern und begann, Nicole von ihren Fesseln zu befreien.
Die Französin merkte, wie ihr schlecht wurde.
Der süße Duft, der den Fremden wie eine Wolke umgab, wurde
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