0313 - Die Mumien kommen
Minuten noch immer nichts getan hatte und ich in der Dunkelheit stand, wollte ich etwas in Bewegung bringen und mich gewissermaßen als Lockvogel anbieten.
Ich holte meine kleine Lampe hervor und schaltete sie ein. Sehr dünn war der Strahl der Punktleuchte. Viel sah ich nicht, aber ich fühlte mich besser, und ich leuchtete auch den Boden ab.
Zuerst dicht vor meinen Fußspitzen. Da erkannte ich, dass der Untergrund aufgewühlt worden war. Ich schwenkte die kleine Leuchte, so dass der helle Schein auch über die Wände tanzen konnte.
Meine Augen wurden groß.
Der dünne Strahl hatte ein schreckliches Ziel gefunden. Punktgenau leuchtete er das blutige Gesicht eines Toten an.
Hart presste ich die Lippen zusammen. Ich spürte, wie meine Wangen zuckten, atmete durch die Nase und schüttelte den Kopf.
Damit hatte ich nicht gerechnet.
Mit weichen Knien näherte ich mich der dicht an der Stollenwand liegenden Leiche, blieb neben ihr stehen und bückte mich, um Genaueres zu erkennen.
Wir hatten bei McPenny die Kleidung eines Bauarbeiters gesehen.
Dieser Tote hier war ähnlich angezogen, und ich erinnerte mich daran, dass McPenny von einem zweiten Kollegen gesprochen hatte.
Das musste er sein!
Er war tot, daran gab es nichts zu rütteln, doch die Umstände seines Ablebens interessierten mich. Weshalb besaß dieser Mann ein so blutiges Gesicht?
Es kostete mich Überwindung, aber ich konnte einfach nicht anders und leuchtete jede Stelle in dem Gesicht an. Dabei führte ich den kleinen Punktstrahler in die Runde und erkannte das Schreckliche.
Man hatte dem Toten kleine Hautstücke herausgeschnitten.
Für einige Sekunden saß ich völlig steif neben der Leiche. Meine Gedanken schlugen Purzelbäume. Sie rasten zurück in die Vergangenheit, und ich fühlte mit den Fingerspitzen nach meiner rechten Wange, denn dort besaß ich eine kleine Narbe.
Auch mir hatte man Haut aus dem Gesicht geschnitten und daraus einen Doppelgänger hergestellt.
Dr. Tod hatte sich dafür verantwortlich gezeigt. Ein Dr. Tod in seinem ersten Leben und nicht als Solo Morasso.
Hier erlebte ich das gleiche Phänomen und erinnerte mich wieder an meine erste Begegnung mit dieser Mumie. Sie hatte neben mir im Wagen gesessen und sich die Haut von der Wange gezogen.
Es musste einfach so sein. Für mich gab es keine Alternative mehr.
Die Mumien hatten im Prinzip das gleiche getan wie Dr. Tod damals bei mir. Sich ein Stück bei einem Menschen geholt und sich damit getarnt.
Eine verdammt schlimme Sache.
Langsam drückte ich mich wieder in die Höhe und stand kaum senkrecht, als ich vor mir in der Tiefe des Tunnels ein ächzendes Geräusch vernahm.
Es war ein wildes, gleichzeitig triumphierendes Ächzen oder Stöhnen, das durch den Bunker schwang, und ich drehte die Hand, damit der dünne Lampenstrahl genau in die Richtung stach.
McPenny hatte gelogen. Ob bewusst oder unbewusst, das spielte in diesen Augenblicken keine Rolle.
Es gab nicht nur vier Mumien, sondern fünf. Und die letzte war dabei, sich in einen Menschen zu verwandeln…
Ich hatte schon viel gesehen, so etwas aber noch nicht. Der Vorgang war unheimlich, erschreckend, und er berührte mich zutiefst. Ob der Mumie ein kleines Stück Haut genügt hatte, war nicht festzustellen, jedenfalls wuchs die Haut nach und war dabei, den gesamten Körper zu bedecken.
Sie breitete sich aus wie nach unten laufender Teig. Den Kopf hatte sie bereits erfasst, ließ Lücken für Augen, Mund und Nase frei.
Einer dünnen Maske ähnlich, auch zu vergleichen mit einer Gummilösung, hüllte sie das schreckliche Wesen ein.
Es musste aus der Erde gekommen sein, denn neben ihr war der Boden aufgewühlt. Und ich sah noch etwas, das mich erschreckte.
Ein zweiter Toter lag im Gang.
In das Gesicht brauchte ich erst nicht zu leuchten, ich wusste von vornherein, dass es die gleichen Spuren zeigte wie auch das des von mir entdeckten Toten.
Obwohl die Verwandlung der Mumie schrecklich war, konnte ich mich dem Bann nicht entziehen und schaute weiter zu, wie aus einem uralten Wesen ein fast normaler Mensch wurde.
Bis zu den Füssen breitete sich die Haut aus. Sie besaß einen Grauton, selbst das war im Licht der Lampe zu sehen.
Noch wenige Sekunden, und die Verwandlung war geschafft. Vor mir stand eine Mensch-Mumie!
Sie reckte und streckte sich. Wie jemand, der morgens aufsteht und sich erst durch Gymnastik wachmachen will. Die Haut hielt, zwar spannte sie, aber sie riss nicht ein.
Die Gänsehaut auf meinem
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