0317 - Okastras Grusel-Keller
Friedhof liegt er.«
Sanchez breitete die Arme aus, während ich mit einem Messer ein Stück Käse abschnitt. »Das kann nicht sein. Ich war heute morgen noch oben, und da habe ich nichts gesehen.«
»Was haben Sie denn dort gesucht?« fragte ich kauend.
»Blumen abgestellt, am Grab meiner Mutter.«
»Natürlich, sorry.«
Romero Sanchez wandte sich wieder meiner Landsmännin zu. »Wie kann es möglich sein?« fragte er. »Wer hat den kopflosen Körper dort hingelegt?«
»Jemand, der unter den Gräbern haust.«
Sie hatte sehr laut gesprochen. Auch die anderen Gäste hatten die Worte vernommen.
Alle wurden blaß. Keiner blieb mehr so sitzen wie zuvor. Die Gäste drehten sich auf ihren Stühlen um und schauten zu unserem Tisch hinüber, wo wir in Kreisform saßen.
»Was haben Sie da gesagt?« fragte Sanchez flüsternd.
»Sie haben es gehört.«
»Aber das kann nicht…«
»Doch Romero«, hörten wir eine kratzige Stimme. »Es kann schon sein. Denk an Okastra!«
Da war er wieder, dieser Name.
Okastra!
Schweigen breitete sich aus. Ich sah die Schauer auf den Gesichtern der Anwesenden. Der Name Okastra hatte sie alle geschockt. Das mußte etwas Ungeheuerliches sein, etwas Schauriges, Brutales.
»Okastra«, so flüsterte auch Romero Sanchez, und wir sahen, wie er den Kopf in den Nacken drückte. »Er ist eine Legende, er ist…«
»Er hat gelebt«, sagte der andere wiederum. »Okastra hat einmal gelebt, vergiß das nie, Romero.«
Sanchez sprang auf und fuchtelte mit den Armen. »Ja, verdammt, aber er ist tot.«
»Weißt du das genau? Bist du damals dabeigewesen?«
Sanchez ließ sich wieder auf den Stuhl fallen. »Nein, natürlich nicht. Das hätte ich wohl kaum gekonnt. Aber du, Aldo, warst es auch nicht. Deshalb kannst du nicht…«
Bevor der Dialog der beiden zu einem Streit ausartete, wandte ich mich an den Gast namens Aldo. »Was ist denn damals überhaupt geschehen?«
Aldo schaute mich an, nickte, nahm seinen Stuhl und brachte ihn gleich mit, bevor er sich zwischen uns setzte. »Das will ich euch gern erzählen, falls der Majodomo nichts dagegen hat.«
Romero Sanchez war sauer. »Fang nicht wieder mit den alten Geschichten an. Die glaubt dir keiner.«
»Du vielleicht nicht, Romero. Aber ich weiß, daß die Zeit reif ist. Ein Opfer hat sie schon gekostet. Der Bruder dieser jungen Señorita.«
»Das waren doch andere!« verteidigte der Bürgermeister seinen Standpunkt.
»Wer denn?«
»Muß ich das laut sagen?«
»Ich glaube nicht an die Basken«, mischte ich mich ein. »Welchen Grund sollten Sie gehabt haben, Darwood auf diese schreckliche Art und Weise zu töten?«
»Das müßten Sie wissen«, sagte Sanchez heftig.
»Wieso ich?«
»Sie arbeiten doch zusammen.«
»Das ist ein Irrtum, Señor. Ich arbeite nicht mit ihm zusammen.«
»Und weshalb sind Sie hier?«
Ich deutete auf Aldo. »Um von ihm endlich die Geschichte hören zu können.«
»Ach, dieser Schwätzer.«
Den Eindruck, den Sanchez von ihm gegeben hatte, machte mir Aldo gar nicht. Sicher, er war nicht mehr der Jüngste. Er trug einen schlohweißen Bart, sein Gesicht zeigte unzählige Falten, Runzeln und kleine Gräben, aber die Augen waren klar und hellwach. Für mich war dieser Mann kein Spinner, und wir alle hörten ihm zu.
»Es ist schon sehr lange hergewesen«, so begann er, »als von Afrika die Horden einfielen. Ungläubige, Mauren, Sarazenen. Sie wüteten grausam und machten alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Auch wir wurden nicht verschont. Bis in den hohen Norden gelangten die Sarazenen. Sie plünderten, sie mordeten, sie raubten, und unsere Vorfahren dachten, sie könnten sich vor ihnen verstecken. Deshalb flüchteten die meisten in die Berge, in die Kasematten, die Verliese, Stollen und Gänge. Aber die Sarazenen wußten Bescheid. Sie verfolgten die Menschen und töteten sie grausam. Ihr Anführer damals war Okastra, ein Mörder und Frauenschänder wie er schlimmer nicht sein kann.«
»Wie kam er ums Leben?« wollte ich wissen.
Aldo beugte sich vor. »Überhaupt nicht«, flüsterte er, während Sanchez den Kopf schüttelte, ich aber zuhörte, damit ich auch die weiteren Worte des Spaniers verstand. »Er kam nicht um, nur alle anderen starben. Wo er hinging, hinterließ er Skelette. Noch heute ruhen die bleichen Knochen innerhalb der alten Kasematten und Felsenkeller. Das ist Okastras Grusel-Keller, und damit übertreibe ich nicht, Señor.«
»Er soll also nicht tot sein«, sagte ich.
»So ist
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