032 - Töchter der Nacht
›Vier Großen‹ . . .«
»Lassen Sie mich mit Ihren ›Vier Großen‹ in Ruhe!« fuhr Jim auf. Er wunderte sich, daß Sanderson nur lachte, und trat ganz ins Büro. »Nun, was ist mit Ihnen los?«
Im Grunde waren ihm jede Gelegenheit und jedes Thema willkommen, um sich zu zerstreuen.
»Ich habe mir einmal die Mühe gemacht und alle Belohnungen zusammengezählt, die auf ihre Ergreifung ausgesetzt sind. Was glauben Sie, auf welche Summe ich kam?«
»Keine Ahnung.«
»Hundertzwanzigtausend Pfund! Die italienische Regierung hat allein fünfzigtausend Pfund für die Wiederbeschaffung der Negretti-Diamanten ausgesetzt. Sie müßten über kurz oder lang doch an den Staat fallen, denn der Herzog von ...« »Um Himmels willen, hören Sie doch endlich auf, von Geld zu reden!« winkte Jim müde ab. »Müssen Sie nicht ohnehin schon den ganzen Tag mit Pfund, Dollars, Mark und Francs rechnen? Haben Sie es denn überhaupt nie satt?«
»Ach, nein, das wird mir nie zuviel -«, antwortete der Assistent stolz.
Jim ging in sein Zimmer zurück, und Sanderson folgte ihm.
»Ich möchte Sie noch etwas fragen, Mr. Bartholomew.«
»Ja - was denn?«
»Schreiben Sie doch bitte an die Generaldirektion in London und beantragen Sie einen zweiten Dienstrevolver für uns. Wir haben nur einen, und der liegt in Ihrem Schreibtisch. Sie wissen ja, ich wohne hier oben über den Büroräumen und habe überhaupt keine Waffe.«
»Nehmen Sie meine. Was sind Sie doch für ein blutdürstiger Mensch! Wahrscheinlich gehen Sie zu oft ins Kino.«
»Ins Kino? Ich?« verwahrte sich Sanderson gekränkt. »Sie glauben doch nicht, daß ich mein wohlverdientes Geld für solchen Unsinn hinausschmeiße? Das einzige, was ich mir neulich angesehen habe, war ein Kulturfilm über das Leben der Bienen.«
Jim schloß eine Schublade seines Schreibtisches auf und nahm eine ziemlich große Schußwaffe heraus.
»Hier ist der Revolver - seien Sie aber vorsichtig, das Ding ist geladen!«
»Legen Sie ihn ruhig wieder zurück - schließen Sie aber bitte nicht zu, damit ich ihn mir heute abend herausholen kann.«
»Warum brauchen Sie überhaupt einen Revolver?« fragte Jim neugierig.
»Wissen Sie, ich habe das bestimmte Gefühl, daß wir früher oder später irgendwie mit den ›Vier Großen‹ zu tun bekommen werden«, erklärte Sanderson ernst, fast feierlich.
»Ach, reden Sie doch nicht solchen Unsinn!« regte sich Jim auf. »Was sollten die denn in einem so kleinen Nest suchen? Und was könnten sie schon bei uns finden? Sollen Sie meinetwegen die überzogenen Konten unserer kleinen Kunden stehlen!«
»Vergessen Sie nicht, daß wir Diamanten im Wert von hunderttausend Pfund in unserer Stahlkammer verwahren«, gab Sanderson zu bedenken.
Jim wurde ernst.
»Ja, da haben Sie recht. Und die müssen unbedingt am Dienstag nach London geschafft werden!«
In diesem Augenblick betrat Sturgeon, ein reicher Farmer, der ein Gut von eintausendfünfhundert Morgen in dieser Gegend besaß, die Bank. Er warf, als er hereinkam, einen schnellen Blick auf die große Uhr in der Schalterhalle.
»Na, das habe ich ja noch einmal geschafft!«
Er grinste und legte sein Bankbuch mit einem mehrstelligen Scheck zur Einzahlung auf die Marmorplatte vor dem Schalterfenster.
Bartholomew, der in der Tür seines Büros stand, nickte ihm zu.
»Wenn es sich darum handelt, Einzahlungen entgegenzunehmen, machen wir selbstverständlich Überstunden -bei Auszahlungen dagegen achten wir peinlich genau auf die Einhaltung der Bürozeit!« meinte er gutgelaunt.
»Hallo, Bartholomew!« rief Sturgeon. »Da fällt mir ein - vor einer halben Stunde sah ich, wie eine gute Bekannte von Ihnen an der Haltestelle beim Stadtwald ausstieg.«
Es handelte sich um eine kleine Station außerhalb der Stadt, wo gelegentlich Züge anhielten, um die Passagiere aus den Dörfern jenseits des Waldes aus- und einsteigen zu lassen.
»Ich habe so viele Bekannte - ich weiß wirklich nicht, wen Sie meinen.«
»Mrs. Cameron.«
»Ach, da haben Sie aber Traumbilder gesehen! Das kann nicht stimmen - Mrs. Cameron ist nämlich heute nachmittag gleich nach Tisch nach London gefahren.«
»Vielleicht doch nicht. Ich habe sie jedenfalls mit meinen eigenen Augen aus dem Zug steigen sehen. Dann fuhr sie in ihrem Auto, das vor dem Bahnhof wartete, davon.«
»Am Ende haben Sie doch recht -«, sagte Bartholomew.
»Ja, ich irre mich nicht. Meine Augen sind noch sehr gut.« Sturgeon nahm sein Bankbuch und ging lächelnd zur Tür.
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