032 - Töchter der Nacht
gedacht hatte, am Essen teilzunehmen, weil sie so lange auf Jim gewartet hatte.
Das Promenadendeck belebte sich immer mehr. Die Passagiere suchten Deckstühle auf. Der Steward breitete Kissen und Decken auf dem Liegestuhl neben ihr aus. Eine große, schlanke Dame stand daneben und verfolgte gleichgültig den Vorgang.
Margot sah sie neugierig an. Frauen interessieren sich immer füreinander, und sie ahnte irgendwie, wer diese Nachbarin sein könnte. Die Dame war sehr schön, mochte etwa achtundzwanzig Jahre alt sein und hatte geistvolle Züge. Vor allem fielen ihre großen, tief dunklen Augen auf. Eine Sekunde lang sah sie Margot an, die das Gefühl hatte, als ob die Blicke durch sie hindurchgingen.
Der Steward richtete sich auf. Die Dame dankte ihm kurz und legte sich hin.
Margot sah, daß die Dame ein elegantes Kleid trug und ein Buch in der Hand hielt, aber nicht las. Zu Margots Überraschung wandte sich die Nachbarin plötzlich an sie.
»Sind Sie nicht Miss Cameron?«
»Ja«, antwortete Margot lächelnd und legte ihr Buch nieder.
»Ich hörte, daß Sie mit Ihrem Bruder und Ihrer Schwägerin an Bord seien. Ich bin eine Nachbarin von Ihnen, mein Name ist Stella Markham.«
»Ach ja, ich habe Ihr Haus gesehen. Es wurde mir vor ein paar Tagen gezeigt.«
Sogleich erinnerte sich Margot auch, daß Jim es gewesen war, der es ihr gezeigt hatte, und sie war ärgerlich auf ihn. Bestimmt hatte sie damit gerechnet, daß er sich an Bord des Dampfers von ihr verabschieden würde, und er hatte sie umsonst warten lassen. Nicht einmal ein Telegramm hatte er ihr geschickt.
»Sind Ihr Bruder und Ihre Schwägerin auch in der Nähe?«
»Sie sind überhaupt nicht an Bord«, erwiderte Margot. »Sie haben im letzten Augenblick ihre Pläne geändert.«
»Nun, dann wird es eine recht einsame Fahrt für Sie werden«, meinte Stella Markham und lächelte ein wenig.
»Ach, das ist mir auch ganz lieb.«
Hier stockte die Unterhaltung, und beide nahmen ihre Bücher auf.
Doch nach einiger Zeit brach Stella Markham aufs neue das Schweigen.
»Gerade Ihre Schwägerin hätte ich gern an Bord getroffen. Es gibt eigentlich nur zwei Personen, die ich hier gern sehen würde - das heißt natürlich drei, wenn ich Sie mit einschließe«, fügte sie halb entschuldigend hinzu.
Margot lachte.
»Wer ist denn die dritte Person?« fragte sie und schrak zusammen, als sie die Antwort hörte.
»Die dritte? Es ist zwar im Moment illusorisch, aber -den Bankdirektor Bartholomew würde ich ganz gern kennenlernen.«
»Aber - warum denn?« entfuhr es Margot.
Sie errötete und hoffte, daß es Stella Markhams durchdringenden Blicken verborgen bliebe. Unweigerlich begann sie sich über diese Person und ihre aufdringlichen Bemerkungen zu ärgern.
»Er soll ein guter Gesellschafter sein! Bei Tisch begrüßte mich nämlich Mr. Stornoway, der Kapitän, und als er hörte, daß ich von Moorford käme, sprach er sofort über Mr. Bartholomew, das heißt, er tat es eigentlich erst, als ich aus irgendeinem Grund seinen Namen erwähnte. Da wurde der Kapitän ganz lebhaft, obwohl er anfänglich meiner Meinung nach etwas verlegen war. Er erzählte dann, daß er im Krieg mit Mr. Bartholomew zusammen an Bord eines Torpedobootzerstörers war, der schließlich durch den Feind versenkt wurde. Zwölf Stunden waren sie zusammen im Wasser, und wenn Mr. Bartholomew nicht gewesen wäre, wären sie beide ertrunken - es war nämlich noch ein dritter dabei, der sich ebenfalls hier an Bord des Dampfers befindet.«
Margot erinnerte sich, daß Jim ihr - es war im Wohnzimmer von Moor House gewesen - den Namen von Kapitän Stornoway genannt hatte.
»Ja, ich habe über ihn gehört«, sagte sie kurz.
»Kennen Sie ihn?«
»Meinen Sie Mr. Bartholomew? Ja, den kenne ich allerdings.«
»Ist er wirklich so interessant?«
»Was verstehen Sie unter - interessant?« fragte Margot kühl.
»Ich meine es so, wie ich es sage - ob er interessant ist?«
»Ja, natürlich.«
Wieder sahen beide in ihre Bücher, aber Mrs. Markham schien das ihre nicht sehr unterhaltsam zu finden, denn nach kurzer Zeit wandte sie sich nochmals an Margot.
»Ich bin die langweiligste Person, die es überhaupt gibt«, sagte sie. »Das ganze Leben erscheint mir so entsetzlich öde. Ich kann England nicht leiden, und genauso geht es mir mit Amerika. In Paris, wo alle Welt sich doch amüsiert, finde ich es schrecklich.«
»Haben Sie es schon einmal mit Coney Island versucht?« fragte Margot, die Mrs. Markham immer
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