032 - Töchter der Nacht
zustellen lasse, sobald es eintrifft.«
Damit mußte sie sich zufriedengeben. Es war Sonntagvormittag, und sie ging zum Gottesdienst, der im Salon der ersten Klasse abgehalten wurde. Danach brachte sie den Tag mit Lesen zu, aber die Stunden zogen sich endlos hin. Gegen Abend sah sie Mrs. Markham wieder. Es wäre schwierig gewesen, ihr an Bord aus dem Weg zu gehen, da ihr Deckstuhl direkt neben dem Margots stand, und bei den Fahrten über den Atlantik werden den Passagieren die Stühle und Plätze für die ganze Reisedauer fest zugeteilt.
So saßen sie also am zweiten Abend ihrer Reise wieder nebeneinander, als plötzlich ein mitgenommen aussehender Passagier vorüberwankte. Mrs. Markham lachte leicht auf.
»Das ist mein armer Butler - er wird so leicht seekrank.«
»Reist er denn auch erster Klasse?« fragte Margot überrascht, denn die Dienerschaft reiste gewöhnlich in einer tieferen Klasse.
Mrs. Markham zuckte die Achseln.
»Ja, warum auch nicht?« meinte sie gelassen. »Wenn ich einen Hund hätte, würde er auch erster Klasse fahren. Ich kann Passagiere niederer Klassen nicht leiden.«
Margot lächelte.
»Sie scheinen eine überzeugte Demokratin zu sein!«
Mrs. Markham sah sie einen Augenblick erstaunt an.
»Ich hasse Leute, die bei jeder Gelegenheit ironisch oder sarkastisch werden.«
»Ach, dann müssen Sie mich ja ganz besonders ins Herz geschlossen haben«, stellte Margot gutgelaunt fest.
Stella Markham runzelte die Stirn.
»Ich hasse Sie nicht. Sie sind so jung und erfrischend, daß man gern mit Ihnen spricht. Ich würde es mir jedenfalls keinen Moment überlegen, wenn ich mit Ihnen tauschen könnte.«
Als Margot hinunterging, um sich für den Abend umzuziehen, fiel ihr ein, daß sie Mrs. Dupreid ganz vergessen hatte. Sie benützte die Gelegenheit, noch schnell bei ihr vorbeizugehen. Wieder erschien das Mädchen mit den harten Gesichtszügen.
»Mrs. Dupreid fühlt sich wohler, aber sie schläft jetzt. Am Abend werde ich sie an Deck bringen, damit sie einen kurzen Spaziergang macht.«
Margot hatte die Beruhigung, wenigstens ihre Pflicht getan zu haben. Der Tag schien überhaupt kein Ende nehmen zu wollen. Sie seufzte erleichtert auf, als sie in ihren Pyjama schlüpfte und dieser Sonntag zu Ende war.
13
Der Montag begann nicht viel anders, nur war es wärmer geworden, und die Passagiere hatten die Mäntel abgelegt. Viele lehnten an der Reling oder ließen es sich in ihren Deckstühlen im Sonnenschein wohl sein.
Mrs. Stella Markham war die erste, die eine Andeutung darüber machte, daß irgend etwas an Bord nicht stimmte.
»Ich hatte gestern abend ein aufregendes Abenteuer«, erzählte sie, als sie neben Margot Platz nahm.
»Das klingt ja vielversprechend«, erwiderte Margot. »Im Augenblick bin ich für ein wenig Abwechslung und Zerstreuung sehr empfänglich.«
»Meine Kabine liegt auf dem A-Deck, auf dem wir uns hier befinden. Meine Fenster sind direkt unter der Kommandobrücke. Es ist geradezu gefährlich, wenn man vergißt, die Vorhänge vor die Luken zu ziehen. Noch unangenehmer ist, wenn draußen Liebespärchen an der Reling stehen, nachdem die Lichter gelöscht sind. Man hört alles so genau. Diese Unterhaltungen von Verliebten sind doch wirklich albern, finden Sie nicht auch?«
»Ich weiß es nicht«, bemerkte Margot ungezwungen. »Ich hatte noch nie Gelegenheit, Pärchen zu belauschen.«
Mrs. Markham sah sie lächelnd an.
»Also, das Abenteuer begann, als ich gleich nach dem Abendessen an Deck kam. Mein Mädchen war auf dem vorderen Deck spazieren gegangen, und ich muß sagen, daß ich eine gewisse Verantwortung für sie empfinde, besonders da sie gern Herrenbekanntschaften macht. Sie lehnte sich an die Reling und schaute auf die Leute im Zwischendeck hinunter. Zufällig drehte sie sich um und sah, daß sich jemand in meinen Räumen befand. Sie konnte von ihrem Platz aus direkt in mein Schlafzimmer sehen. Darauf sah sie sich rasch auf Deck um, und zu ihrem Erstaunen bemerkte sie eine Dame, die ängstlich in meine Kabine schaute.«
»Wie sah sie aus?«
»Das kann mein Mädchen leider nicht genau sagen. Sie behauptet, die Dame wäre dicht verschleiert gewesen. Das klingt ja recht romantisch, gibt aber keinerlei Anhaltspunkt. Jedenfalls habe ich noch keine dichtverschleierten Passagiere auf dem Schiff gesehen, obwohl manche Damen wirklich gut daran täten, ihr Gesicht zu verstecken, damit man nicht ständig ihre unangenehmen Züge vor Augen hätte.«
»Nun, und was geschah
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