Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

032

Titel: 032 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Seiltänzerin
Vom Netzwerk:
Dann nahm sie sie weg, faltete sie und äußerte seufzend: „Liebe Frau! Liebe Frau!" Sie betete jedoch nicht, da sie das Gefühl hatte, dass es gefährlich wäre, die Aufmerksamkeit einer Gottheit auf sich zu lenken, auch wenn sie nur ein Dankgebet sprach. Nichts, an das sie sich erinnerte, hatte sie auf ein solches Wunder an Freundlichkeit vorbereitet. Etwas tief in ihr Verborgenes verströmte indes eine Wärme, die sie das alles fraglos hinnehmen ließ.
    Schließlich streckte sie die Hände aus, berührte und drehte die Schätze hin und her, die man ihr gegeben hatte. Der schöne Kamm ließ sie in Tränen ausbrechen. Sie küsste und streichelte ihn und seufzte vor Vergnügen, während sie ihn durchs Haar zog und merkte, wie glatt die Zinken hindurchglitten. Sie lachte trotz der Schmerzen, als er sich in einem Knoten verfing.
    So viel! So viel! Sie würde nie imstande sein, das alles zu bezahlen. Und das rief ihr das Kerbholz in Erinnerung. Es stimmte, dass sie nichts über Kerbhölzer wusste, abgesehen davon, dass sie dazu benutzt wurden, um Abrechnungen zu machen.
    Niemand hatte je Abrechnungen gemacht, selbst dann nicht, als Morgan noch die Truppe anführte. Die Einnahmen wurden unter den Akteuren verteilt, die nach jeder Vorstellung einen Anteil bekamen. Es stimmte, dass man ihr nie einen Anteil ausgezahlt hatte, aber Betrug war das eigentlich nicht gewesen. Es hätte keinen Betrag gegeben, der genug gewesen wäre, um Morgan dafür zu entlohnen, dass er sie so viele Jahre lang am Leben erhalten hatte, bis sie für irgendjemanden etwas wert gewesen war. Und Ulric . . .
    Was war mit ihr geschehen, nachdem Morgan gestorben war? Nun, da sie innerlich nicht mehr krank vor Entsetzen war, begriff sie, dass etwas mit ihr geschehen war.
    Hatte sie Morgan geliebt? Sie hatte ihn nicht so geliebt, wie eine Frau einen Mann liebte. Das war sicher. Aber sie war niemals verängstigt gewesen, bis sie ihn verloren hatte. Wie sehr hatte sie ihm innerlich Vorwürfe gemacht, weil er zugelassen hatte, getötet zu werden! Seine Dummheit hatte ihre Welt zerstört, und jetzt, nach seinem Tod, dachte sie über sich selbst nach und erkannte, dass sie ein anderer Mensch gewesen war, der wie ein Tier ums Überleben gekämpft hatte. In all diesen schrecklichen Jahren schien das Leben in Stücke gebrochen gewesen zu sein, so dass alles, was mehr gewesen wäre als die einfache Notwendigkeit, am Leben bleiben zu müssen, jede Bedeutung verloren gehabt hatte - beispielsweise die eigene Reinlichkeit. Und sie war nicht fähig gewesen oder hatte keinen Wert darauf gelegt, die Bruchstücke ihres Lebens in ein neues Ganzes zu bringen.
    Das war der Grund gewesen, weshalb sie mit Ulric durch die Lande gezogen war. Sie legte den Kopf zur Seite, und ihre Augen leuchteten, als sie in etwas, das so dumm war wie die Tatsache, dass Morgan getötet worden war, einen Sinn sah. Nun, im Nachhinein, kam es ihr vor, dass sie eine sehr lange Zeit hindurch nicht sie selbst gewesen war. Aber ein Teil dieses Selbst war lebendig gewesen - sie als Seiltänzerin. Die Welt hatte sich wieder zusammengefügt, weil sie sich an ihre Kunst geklammert hatte, und bei Telor und Deri war sie in Sicherheit.
    Hätte sie das Huren angefangen, wäre sie von ihnen in Chippasham zurückgelassen worden. Das wusste sie.
    Sie lächelte den Kamm an, den sie immer noch in der Hand hielt, und legte ihn dann hin. Sie fürchtete sich nicht mehr. Falls er verloren ging oder zerbrach, würde sie imstande sein, sich einen anderen zu besorgen. Sie war frei von jeder Art von Dankesschuld, die sie an Morgan gebunden hatte, und bei Telor und Deri war sie in Sicherheit, nicht unbedingt deswegen, weil sie für immer bei ihnen bleiben würde, sondern weil sie sich darauf verlassen konnte, dass beide für sie da wären, bis sie den richtigen Platz in der Welt gefunden hatte.
    Es beunruhigte sie überhaupt nicht, dass diejenigen, die ihre Schulden auf einem Kerbholz markierten, auch diejenigen sein sollten, die ihr beibrachten, wie es zu benutzen war. Weder Deri noch Telor hatten den Wunsch, sie durch ihre Schulden an sich zu binden, ganz gleich, welcher Art diese Schulden waren. Hätten sie das tun wollen, hätten sie gesagt, sie verdanke ihnen ihr Leben, so wie Morgan das behauptet hatte. Sie hatte akzeptiert, dass sie Telor ihr Leben schuldete, doch er hatte gesagt, es sei nur seine Christenpflicht gewesen, sie zu retten, und sie solle ihre Dankesschuld durch Mildtätigkeit bei anderen Menschen

Weitere Kostenlose Bücher