0327 - Sie kamen drei Stunden nach Mitternacht
schmäler geworden. Trotzdem machte Ben Carloman den Eindruck eines vornehmen Herrn, wozu auch seine tadellose Kleidung beitrug.
Der Anwalt war uns bekannt. Er war ungefähr sechzig Jahre alt, glatzköpfig, mit runden, gutmütigem Gesicht und scharfen Augen hinter der Brille.
Wir waren auf gestanden und ließen die Vorstellungsformalitäten geduldig über uns ergehen.
»Und nun zur Sache«, sagte Mister Brugess und rieb sich die Hände.
»Es geht um schwerwiegende Dinge«, sagte ich. »Ich denke, Sie haben nichts dagegen, wenn ich ein paar Fragen stelle.«
»Keineswegs. Fragen Sie.«
Ich fasste Carloman ins Auge, aber der senkte seinen Blick nicht. Im Gegenteil, er lächelte.
»Seit wann sind Sie in New York?«, fragte ich.
»Seit dem 6. Oktober. Ich hatte mich entschlossen, mit der Vergangenheit zu brechen und ein neues Leben zu beginnen. Darum verließ ich Chicago. Ich suchte eine Stelle, die meinen Fähigkeiten entspricht, und fand diese im Betrieb von Mrs. Maspet. Ich möchte betonen, dass ich der Dame von Beginn an nicht verschwiegen habe, wer ich bin. Madame war vorurteilslos genug, um es mit mir zu versuchen. Inzwischen habe ich, so nehme ich an, ihr Vertrauen erworben.«
Die beiden saßen dicht nebeneinander.
Der Bück, den sie tauschten, sagte mir mehr als Carlomans Worte. Es war ein Blick, wie ihn Verliebte tauschen.
»Das stimmt«, lächelte Mrs. Maspet. »Ich bin mit Mister Carlomans Leistungen außerordentlich zufrieden.«
»Und was verdient Mister Carloman bei Ihnen?«
»Neunhundert Dollar im Monat und ein Prozent Umsatzprovision. Ich vergaß zu sagen, dass er Verkaufsleiter bei mir ist.«
»Und nun zur Hauptsache, Mrs. Maspet. Bitte überlegen Sie sich Ihre Antwort genau! Ist Ihnen bekannt, wo Mister Carloman sich in der Nacht zum 12. November aufhielt?«
»Ja«, sagte sie. »Er kann den Bankraub in der Cedar Street nicht begangen haben.«
»Wissen Sie denn, um welche Zeit es sich dabei handelt?«
»Die Zeitungen schrieben, dass Mister Hodge um drei Uhr dreißig gewaltsam aus seinem Haus weggeholt und ungefähr um vier Uhr ermordet wurde.«
»Ja, das stimmt, aber woher wollen Sie wissen, dass Carloman es nicht gewesen sein kann?«
Mrs. Maspet fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, zögerte einen Augenblick und sagte dann bestimmt: .
»Weil Mister Carloman um diese Zeit mit mir zusammen war.«
»Verzeihen Sie die Indiskretion, Mrs. Maspet, aber wo waren Sie mit Mister Carloman?«
»Wenn Sie es unbedingt wissen müssen, bei mir zu Hause. Mister Carloman kam am Abend zum Dinner und ging erst am Morgen um sieben Uhr dreißig weg. Wir haben die ganze Nacht zusammen gesessen und Wein getrunken.«
Das sagte sie, ohne mit der Wimper zu zucken. Nur ein kleines, triumphierendes Lächeln spielte um ihre Mundwinkel.
»Und wo befand sich Mister Carloman gestern zwischen fünf und sechs Uhr nachmittags?«
»Im Büro meines Geschäfts in der Park Avenue. Ich hatte ihn um halb fünf zu einer Besprechung gebeten, bei der es sich um gewisse Einkaufsmöglichkeiten von französischen Barockmöbeln handelte. Wir tranken zusammen Tee und gingen zwischen halb sieben und sieben Uhr weg, das heißt, Mister Carloman brachte mich nach Hause.«
»Und blieb bis zum Dinner.«
Sie nickte und lächelte. »Ganz richtig. Mister Carloman blieb nicht nur zum Dinner, sondern bis gegen Mitternacht, wie meine beiden Mädchen bestätigen können.«
»Können diese Mädchen auch die Anwesenheit Ihres Verkaufsleiters in der vorherigen Nacht bestätigen?«
»Das können sie nicht. Sie werden nur bestätigen können, dass Ben… Mister Carloman zum Dinner kam und noch bei mir war, als ich Elsie und Rebecca sagte, sie könnten zu Bett gehen. Allerdings trafen sie ihn morgens gegen sieben beim Frühstück wieder an. Er war also noch da.«
»Mister Carloman könnte also zu der kritischen Zeit, zwischen drei und fünf Uhr morgens, weggegangen sein?«
»Er war es aber nicht, dafür muss Ihnen mein Wort genügen«, entgegnete sie energisch.
»Sie werden so freundlich sein und Ihre Aussage ins Stenogramm diktieren. Mister Brugess wird wohl keinen Einwand dagegen haben, die Aussage sofort schreiben zu lassen, damit sie von Ihnen an Eides Statt unterzeichnet werden kann.«
»Bevor ich mein Einverständnis gebe, möchte ich mit meiner Klientin unter vier Augen sprechen«, meldete sich der Anwalt.
Er stand auf, öffnete die Tür und ließ Mrs. Maspet den Vortritt.
Carloman förderte ein Zigarettenetui, von dem ich
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