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die Kehle rann, wie es nun weitergehen solle. Ohne Evaline war das Leben für ihn bedeutungslos geworden. Er war derart in Gedanken versunken, dass er nicht hörte, wie die Tür geöffnet wurde. Daher sah er auch Clay nicht in den Raum kommen.
„Papa?"
Die Stimme des Sohnes war so nah hinter ihm zu hören gewesen, dass Philip innerlich restlos aus dem Gleichgewicht geriet und sich verzweifelt bemühte, sich zu fassen. Beklommen fragte er sich, wie er Clay erklären könne, was geschehen war. Er stellte die Karaffe ab, atmete tief und beruhigend durch und drehte sich dann zum Sohn um.
Clay stand bei der Tür, und seine Miene drückte Angst und Unsicherheit aus.
„Du hast gelauscht?" fragte Philip.
„Ja", antwortete Clay nickend.
„Es tut mir Leid, Clay." Philip bedauerte noch mehr, dass Evaline seinem Sohn Kummer bereitet hatte.
„Ich begreife Mutter nicht."
„Ich auch nicht", stimmte Philip ihm zu. „Ich nehme an, sie will einige Zeit nicht bei uns sein."
„Heißt das, sie kommt irgendwann zurück?"
Der hoffnungsvolle Ton des Jungen quälte Philip. Er wusste nicht, was er erwidern sollte, obwohl ihm klar war, dass Clay angespannt darauf wartete, von ihm zu hören, alles werde in Ordnung kommen. Er fühlte sich wie zerrissen von seiner Liebe zur Gattin, der brennenden Leidenschaft, die er für sie empfand, und seinem Hass auf sie. Allein der Gedanke an sie brachte ihn wieder gegen sie auf. Ihre herzlosen, grausamen Äußerungen und ihr rücksichtsloses Verhalten ließen seine Gefühle für sie mehr und mehr erkalten, so dass er schließlich nur noch Wut und Hass auf sie im Herzen hatte.
Er war sich indes bewusst, dass er seine Erbitterung nicht an seinem Sohn auslassen dürfe. Er konnte dem Jungen nicht sagen, dass seine Mutter eine unmoralische Person war, eine Schlampe, die niemanden außer sich selbst liebte, der nur an ihrem eigenen Vergnügen gelegen war. Aus dem väterlichen Bedürfnis, den Rest der jugendlichen Unerfahrenheit Clays zu schützen, legte er ihm tröstend den Arm um die Schultern.
„Wir werden abwarten müssen, mein Sohn."
Am späten Nachmittag hielt Clay sich unbemerkt auf der schattigen Veranda auf und beobachtete, wie die Mutter in die Kutsche stieg und den Wagenschlag hinter sich schloss. Er empfand den Wunsch, zu ihr zu laufen und sie anzuflehen, nicht abzureisen, sie davon zu überzeugen, sie müsse beim Vater und ihm bleiben. Er ahnte jedoch, dass seine Bemühungen nichts fruchten würden. Die Mutter verließ ihn. Als sich die Kutsche in Bewegung setzte und die lange Auffahrt hinunterrollte, wusste er, die Mutter verschwand für immer aus seinem Leben. Tränen brannten ihm in den Augen, und er verspürte einen beklemmenden Druck auf der Brust.
Verzweifelt suchte er nach einer Möglichkeit, um die Dinge wieder in Ordnung bringen zu können. Er grübelte über das von ihm belauschte Gespräch zwischen den Eltern nach und hoffte, so einen Hinweis darauf zu finden, wie er zur Lösung der verfahrenen Situation beitragen könne. Seine Miene wurde ernst, und sein Blick verdüsterte sich, während die Äußerungen der Mutter ihm durch den Sinn gingen.
Sie hatte behauptet, die Plantage sei heruntergekommen, und dem Vater gesagt, sie wolle reich sein. Ihm kam der Gedanke, Geld müsse der Schlüssel für die Klärung des Problems sein. Mit kindlicher Logik gelangte er zu der Erkenntnis, die Mutter sei nur fortgefahren, weil der Vater nicht vermögend war, so dass es lediglich darauf ankam, Reichtum zu erwerben, damit sie zurückkehrte.
Unvermittelt war er voller Stolz und wilder Entschlossenheit und wandte sich vom Anblick der davonrollenden Kutsche ab. Unbewusst straffte er wie ein Erwachsener die Schultern, als bereite er sich innerlich auf einen schweren Kampf vor. Irgendwie würde er es schaffen, so viel Geld zu verdienen, dass er die Mutter bewegen konnte, wieder in Windown zu leben. Es war ihm gleich, welche Änstren-gungen er würde unternehmen müssen, um sein Ziel zu erreichen. Er war davon überzeugt, Erfolg zu haben. Sobald der Vater und er Windown zur bedeutendsten Plantage der Gegend gemacht hatten, würde die Mutter gewiss zu ihnen zurückkehren. So einfach war das. Auf dem Weg zum Stall fragte er sich indes, warum er sich so leer und einsam fühlte.
1. Kapitel
New Orleans, 1848
Clay band das Pferd am Haltepfahl fest und schaute unschlüssig an der mit schmiedeeisernen Baikonen verzierten Fassade des prächtigen zweistöckigen Hauses hoch. Es war ein
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