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sie vor diesen beiden rücksichtslosen Desperados stand und sie ansah, begriff sie, wovon der Vater geredet hatte. Vic stand etwas abseits, doch der Mann namens Duke saß noch einige Schritte entfernt auf seinem Pferd und zielte mit dem Gewehr auf die Brust des vor Angst erstarrten, sich nicht regenden Kutschers. Duke war ein gemein aussehender Mann, der Reina aus dunklen Augen gefühllos betrachtete. Das die untere Gesichtshälfte verhüllende Tuch ließ ihn noch gefährlicher aussehen. Instinktiv war Reina klar, dass diese Männer ohne zu zögern gnadenlos töten würden.
Die erschreckende Erkenntnis veranlasste sie, mit der Hand über den versteckten, harten, ihr ein Gefühl der Beruhigung vermittelnden Revolver zu streichen.
„Nanu, wen haben wir denn hier, Vic?" rief Duke aus und starrte sie verblüfft an.
„Wir haben hier eine Nonne", antwortete Vic.
„Was glauben Sie, Schwester? Glauben Sie, Ihr Gott wird Ihnen jetzt helfen?" Duke lachte über seinen Witz und schwang sich, weiterhin mit dem Gewehr auf den Kutscher zielend, aus dem Sattel.
Wenngleich Reina den starken, wilden Drang verspürte, die Waffe hervorzuziehen und zu schießen, wusste sie, dass es sinnlos war, sich gegen die Banditen behaupten zu wollen. Auch wenn sie das Überraschungsmoment auf ihrer Seite gehabt hätte, musste sie es mit zwei Männern aufnehmen. Sie zwang sich, weiterhin ihre Rolle zu spielen, richtete kühl den Blick auf Duke und schaute ihn fest und unbeirrt an.
Nachdem Mrs. Hawks und deren Tochter sich zu ihr gesellt hatten und sich an sie drängten, legte sie schützend den Arm um beide.
„Wir sind keine Bedrohung für Sie", sagte sie zu den Verbrechern. „Nehmen Sie sich, was Sie haben wollen, und verschwinden Sie."
„In einem Punkt haben Sie Recht, Lady. Sie sind keine Bedrohung für uns. Aber vielleicht haben Sie etwas noch viel Aufregenderes für uns als nur Geld, nicht wahr, Vic?" Hungrig betrachtete der lüsterne Duke die Nonne. Er hatte sich immer gefragt, wie diese Nonnen sein mochten, die so gottergeben aussahen und sich ständig so fromm benahmen, und überlegte jetzt, ob diese Frau derart kühl war, wie sie sich den Anschein gab. Drohend machte er einen Schritt auf sie zu, und sein barbarischer Sinn war erfüllt von Gedanken, wie er seine perverse Lust mit ihr befriedigen könne.
6. Kapitel
Fred, der Postkutscher, hatte Angst vor dem Verbrecher und sagte rasch in der Hoffnung, ihn von seinem Vorhaben abhalten zu können: „Nehmen Sie die Stahlkassette und verschwinden Sie!" Er warf die schwere Stahlkassette auf die Erde.
„Wenn Sie den Sonnenuntergang noch erleben wollen, dann halten Sie von nun an den Mund!" befahl Duke und lachte siegessicher und zugleich verächtlich auf, als der Kutscher sogleich den Mund schloss. Da sein Interesse an der Nonne nicht so groß war wie an Geld, bedeutete er dem Kumpan mit knapper Geste, zu der Stahlkassette zu gehen. „Sieh nach, was wir bekommen haben, Vic."
Vic beeilte sich, die Order zu befolgen, und schoss das schwere Schloss von der Kassette fort. Dann riss er den Deckel auf und machte habgierig große Augen. „Sieh her, Duke! Wir haben das große Los gezogen!"
„Na, wer sagts denn!" Duke sah die Beutel mit den Goldmünzen und vergaß prompt alles andere. Er rannte zu seinen Satteltaschen und gesellte sich dann zu seinem Kameraden. Gemeinsam fingen sie an, die Beute in die Satteltaschen zu stopfen.
Vorsichtig blickte Fred zu seinem außer Reichweite liegenden Gewehr. Da die beiden Banditen offensichtlich abgelenkt waren, überlegte er verzweifelt, ob er es erreichen und sie erschießen könne, ehe sie ihn daran hinderten. Er wollte soeben nach der Waffe greifen, als Vic nach dem Einpacken des letzten Geldes aufschaute.
„An Ihrer Stelle würde ich das nicht tun", äußerte er verächtlich. Er hatte die Verzweiflung des Kutschers in dessen Miene richtig eingeschätzt. „Werfen Sie die Waffe hierher!"
Eingeschüchtert und in dem Bewusstsein, keine Chance zu haben, befolgte Fred den Befehl.
„So bleibt man am Leben", sagte Duke boshaft, stand auf und ging langsam zu der Stelle, wo die beiden Frauen und das Kind waren. Die mollige Frau und ihr kleines Mädchen interessierten ihn nicht; er hatte nur Augen für die hübsche Nonne. „So, und nun denke ich, werde ich mir etwas Spaß verschaffen."
Ruth und Melissa krochen vor Angst in sich zusammen, wohingegen Reina seinem Blick standhielt, ohne mit der Wimper zu zucken.
„Lassen Sie uns in Ruhe!"
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