0330 - Der Seelenwächter
der das Tor zur Scheol darstellt.
Im Verlauf seines Kampfes gegen die Wesen der Hölle hatte Professor Zamorra es sich abgewöhnt, die Gegner nach dem Äußeren zu beurteilen.
Wer konnte wissen, was für Kräfte im Inneren der Gallertmasse schlummerten.
»Gib mir den Schlüssel, Carsten!« verlangte der Meister des Übersinnlichen.
»Ich denke, hier ist der Ort, wo wir seiner bedürfen!«
Der Junge sah ihn mit seltsamem Blick an. Aber er nahm das Gerät von der Schulter und reichte es dem Parapsychologen hinüber.
Nicht einmal Asmodis konnte ihnen sagen, wie man den Schlüssel einsetzen mußte. Auch der Fürst der Finsternis war nicht allwissend.
Doch Professor Zamorra hatte keine Gelegenheit, lange Überlegungen anzustellen. Denn kaum, daß ihm Carsten das Gerät hinüberreichte, geschah etwas, womit keiner von ihnen gerechnet hatte.
In die unförmige Gallertmasse kam Leben…
***
Sordales sah, daß die Neuankömmlinge klüger waren. Sie hielten sich zurück und warteten ab. Der Wächter der Seelen verstand zwar ihre Worte nicht – aber er erkannte, daß sie vorsichtig waren.
Und dann sah er ganz deutlich den »Ghulac«. Das Einzige, was ihm Furcht einjagte. Denn wenn er den Ghulac sah, dann kamen meist auch Gefühle, die weh taten und gegen die es keine Gegenwehr gab.
Sordales musterte die beiden Wanderer und erinnerte sich. Schon einmal war ihm ein Menschenwesen entgegengetreten, das ein vierbeiniges Wesen an seiner Seite hatte. Und dieser Mensch hatte den Ghulac vorzüglich eingesetzt. Seelen, über die er wachen mußte, waren entführt worden.
Was wußte Sordales von Doktor Faust, der zusammen mit Mephistopheles hierher gekommen war, um im Auftrage seines Kaisers die Seelen von Paris und Helena zu holen, weil sie der Kaiser sehen und seinem Hofstaat präsentieren wollte. Mephistopheles hatte damals wie üblich sich als schwarzer Pudel getarnt, um in seiner dämonischen Existenz nicht in der Scheol aufzufallen. Dem Doktor Faust gelang es, die Scheol mit den Seelen zu verlassen. Doch halten konnte er das Unsterbliche von Paris und Helena nicht. Sie flohen, kaum daß der Kaiser sie erblickt hatte, wieder zurück in die Scheol.
Professor Zamorra hingegen wußte nicht, daß Doktor Faust den »Schlüssel« hier schon einmal mit solchem Erfolg eingesetzt hatte, daß der unförmige Seelenwächter ihn kannte und fürchtete.
Er sah nur, wie in die Gallertmasse Bewegung kam. Sie schien zu wachsen und sich vor ihm aufzutürmen. Wie ein Luftballon, der ständig weiter aufgeblasen wird, dehnte sich die Substanz des Sordales aus.
Der Meister des Übersinnlichen wich einige Schritte zurück. Mit beiden Händen hob er den Schlüssel, den Sordales als »Ghulac« kannte, empor.
Denn hinter der sich immer mehr ausdehnenden Gallertmasse erkannte er die abstoßenden Konturen eines Wesens, das jeder Lebensform, die bekannt ist, Hohn sprach.
Sordales, der Wächter der Seelen, zeigte seine wahre Gestalt…
***
Carsten Möbius verbarg sein Gesicht in den Händen. Diesen grauenhaften Anblick konnte er nicht ertragen. Eine Lähmung der Angst floß durch seinen Körper und ließ ihn regungslos verharren, als sich die durchsichtige Masse so hoch wie drei ausgewachsene Männer emportürmte und die Konturen eines abartigen Monstrums dahinter sichtbar wurden.
Asmodis stand mit gesträubtem Nackenfell an Zamorras Seite. Aber die kehligen Laute, die er ausstieß, wußte der Parapsychologe nicht zu deuten. Untätig, den »Schlüssel« in Anschlag gebracht, ohne zu wissen, wie er zu benutzen sei, sah Professor Zamorra zu, wie der Gegner emporwuchs.
Und dann ging alles ganz schnell.
Es war wie eine Explosion. Die Gallertmasse riß am oberen Ende auf und die festen Konturen des Monsters, das vorher nur zu erahnen war, schoß empor. Es glich im weitesten Sinne einem Insekt – einer Mutation zwischen einer Fliege, einer Wespe und einer Spinne. Der Körper war mit einem blauschwarzen Pelz bedeckt, der den darunter knackenden Chitinpanzer verbarg. Auch die gebogenen, spinnenartig geformten Beine, die an die Läufe von Krebsen erinnerten, waren teilweise behaart.
Wie Schleier hingen überall die Gallertfäden der Umhüllung von dem abstoßenden Körper herab.
Das scheußlichste war der unförmige Schädel. Gekrönt von zwei antennenförmigen, behaarten Hörnern lief er in einer Art Rüssel zusammen, aus dem eine Zunge mit einer dreizackigen Spitze hervorschoß und Professor Zamorra bedrohte. Die ovalen Augen waren facettenartig
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