0330 - Die lebende Legende
eingefangen, umhüllt und umschmeichelt. Möglich war alles.
Ungefähr dort, wo sich auch das Zentrum des blauen Lichtes befand, entstanden Wellen.
Es waren keine, die gegen das Ufer liefen, sondern da, wo sie auch entstanden waren, blieben. Sie liefen auf der Stelle, als hätte jemand einen Stein in das Wasser geworfen, der diese Wellen erzeugte, sie aber auf dem Fleck konzentrierte.
»Da kommt bald etwas aus dem Wasser!« flüsterte ich. »Ich glaube fest daran, daß…«
Ich verstummte. Auch meine Freundin sagte nichts, denn ich hatte mit meiner Vermutung ins Schwarze getroffen.
Aus der Tiefe stieg tatsächlich jemand.
Genau dort, wo sich der blaue Schein befand, kam er hervor. Eine riesenhafte Gestalt, die einen großen Schatten warf.
Das Wasser rann hell perlend an ihrem Körper herab. Die Gestalt wurde größer und größer. Sie schwebte auf dem Wasser, blieb stehen und schaute starr nach vorn.
Wir beide sahen den Blick auf uns gerichtet.
»Wer ist das?« hauchte ich.
Da schüttelte Helen den Kopf und nickte gleichzeitig. »Das ist… das ist Shimada! Man nennt ihn auch die lebende Legende …«
***
Yakup schluchzte auf, als er diesen Satz gesagt hatte. Er preßte beide Hände vor sein Gesicht und senkte den Kopf. In meinem Sessel wirkte er irgendwie klein und verloren. Ohne den Kopf zwischen seinen Händen wegzunehmen, schüttelte er den Kopf.
Suko und ich ließen den jungen Mann in Ruhe. Wir wußten, daß ein schweres Schicksal hinter ihm lag, deshalb wollten wir ihm Zeit geben, bevor er seinen Bericht fortsetzte.
Wir saßen in meiner Wohnung zusammen und redeten mit unserem neuen Freund Yakup Yalcinkaya. Er hatte uns das Leben gerettet. Wie aus dem Nichts war er erschienen und in unser Leben getreten. Noch konnten wir nicht viel mit ihm anfangen. Als wir ihn fragten, welche Ideen oder Intensionen ihn geleitet hatten, sich auf unsere Fersen zu setzen, hatte er nur den Namen Shimada genannt.
Und der alarmierte uns natürlich auch. Shimada war ein Alptraum für uns, dem wir nicht entkommen konnten. Shimada steckte im Hintergrund, seine Spur hatten wir vor langer Zeit verloren, nun zeichneten sich neue, unheimliche Dinge ab, mit denen wir eigentlich schon lange gerechnet hatten.
Die neue Spur hieß Yakup Yalcinkaya. Er hatte uns das Stichwort geliefert, er schien mehr über ihn zu wissen, und er war der Mensch, der Shimada haßte, das hatten wir mittlerweile herausgefunden.
Die Erinnerung hatte ihn überwältigt. Noch saß er da, hielt den Kopf in seinen Händen verborgen und atmete einige Male tief durch. Wir hüteten uns, ihn anzusprechen. Er brauchte seine Ruhe und mußte sich zunächst wieder sammeln.
Nach einer Weile schaute er auf. Sein Lächeln fiel knapp aus. Es war auch unecht.
»Kann ich etwas Wasser haben, bitte?« fragte er mit leiser Stimme und ausgesuchter Höflichkeit.
»Gern.« Ich stand auf, ging in die Küche und füllte ein Glas mit klarem Sprudel.
Als ich wieder in den Wohnraum zurückkehrte, saß Yakup dort wie eine Statue. Er nahm das Glas dankbar nickend entgegen und trank in vorsichtigen Schlucken. Wir schauten ihn dabei an. Sein Gesicht war blaß geworden. Auf der Haut konnten wir die sommerliche Bräune nur mehr ahnen. Yakup war Türke. Um seine Herkunft lag ein Geheimnis, das er auch nach unseren vorsichtigen Fragen nicht gelüftet hatte.
Bestimmt würde er das noch tun, das mußte eben die Zeit ergeben.
Als er das Glas geleert hatte, lächelte er abermals und nickte uns zu.
»Wenn ich euch mit meinen Erzählungen langweile, dann sagt es bitte. Ich höre auf und gehe.«
»Um Himmels willen«, erklärte ich. »Nie. Wir sind sehr interessiert. Besonders deshalb, weil der Name Shimada fiel.«
Yakup nickte. »Ja«, bestätigte er. »Das ist schlimm. Es ist sogar sehr schlimm geworden. Ich kann Shimada nicht begreifen, ich kann ihn nicht verstehen. Er ist eine grausame Figur in einem höllischen Spiel, und er erscheint mir fast unbesiegbar.«
»Was hat er denn getan?« fragte Suko.
»Wie meinst du das?«
»Er ist bestimmt nicht im Wasser geblieben?«
Yakup lachte. »Darauf kannst du dich verlassen. Er wollte an das Ufer. Deshalb ist er schließlich gekommen.«
»Und was hatte er für einen Grund?«
Yakup gab die Antwort flüsternd. »Einen fürchterlichen, einen grauenhaften. Helen hatte recht gehabt. Ich hätte ihr glauben sollen, aber ich war von meiner eigenen Stärke so überzeugt, daß ich ihre Warnung übergangen hatte. Das rächte sich.« Er schaute in
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