0335 - Die goldenen Skelette
mag dich. Außerdem finde ich es hier gar nicht gut. Wir sollten woanders hingehen.«
»Mir gefällt es aber hier.«
»Ich kenne bessere Orte.« Luigi saß steif auf dem Hocker. Seine Hände hatte er auf der Bartheke übereinandergelegt. So wirkte er wie eine Statue. Seine nächsten Worte deuteten einen Kompromiß an. »Es gibt noch einige freie Plätze in den Grotten. Wie wäre es damit?«
Die Fremde überlegte. Sie wiegte ihren Kopf, hob die Schultern und murmelte: »Meinetwegen.«
»Dann komm.«
Gemeinsam rutschten sie von den Hockern. Das Getränk ließ sie ebenso stehen wie Luigi. Als die Barfrau etwas fragen wollte, warf Luigi ihr einige Scheine zu, die von der Summe her völlig ausreichten.
Die Hände der beiden berührten sich, und die Dunkelhaarige hatte nichts dagegen, daß Luigi ihre Hand nahm.
Der junge Mann fühlte sich wie in einem Traum. Für ihn war die Umgebung gewissermaßen gestorben. Er hörte keine Musik, sah kaum die tanzenden Paare, sondern steuerte allein sein Ziel, eine noch leere Grotte, an. Zahlreiche Augenpaare beobachteten die beiden, das allerdings störte ihn nicht. Für ihn gab es nur das Mädchen. Er hatte von dem Begriff Liebe auf den ersten Blick bisher nur gehört, aber nie damit gerechnet, daß es ihn auch einmal so heftig erwischte.
Ja, er liebte sie.
Und er liebte sie sogar so sehr, daß er bereit war, sie seiner Mutter vorzustellen.
Das würde Probleme geben, er kannte Mutter schließlich. Aber es kümmerte ihn nicht. Irgendwann hatte es mal so kommen müssen.
Er konnte nicht immer nur auf die Mutter hören und wider die Natur handeln.
In der Nische stand ein kleiner rechteckiger Tisch. Etwas breiter als die Platte waren die beiden Bänke, die sich gegenüberstanden.
Auf den Sitzflächen und an den Rückenlehnen waren sie gepolstert.
Nebeneinander nahmen sie Platz. Sie saßen so eng, daß sich die Außenseiten der Schenkel berührten. Auf dem Tisch stand eine kleine Lampe. Sie gab nicht viel Licht, man konnte es als schummrig bezeichnen.
»Was möchtest du trinken?« fragte Luigi.
»Ist mir egal.«
»Ich bin für Champagner.«
»Meinetwegen.« Mehr sagte sie nicht. Das wunderte Luigi. Die anderen Mädchen, mit denen er in den Nischen gesessen hatte, waren immer überrascht gewesen.
Diese hier nicht.
Sehr schnell war die Bedienung da, und der junge Mann bestellte.
Seine Begleiterin schaute sich um. Über ihnen und an den Seiten sahen sie nur das Gestein. Es war rauh, manchmal kantig und hatte noch seine Ursprünglichkeit. In den Bergen der Toscana gab es zahlreiche dieser Höhlen. Oft lagen sie versteckt unter den Weinbergen, und so einen Weinberg besaß die Familie Canotti natürlich auch.
Der Champagner wurde gebracht. Er schäumte in die kelchartigen Gläser und lief ein wenig über.
Das machte nichts. Mit einer Handbewegung schickte Luigi die Bedienung weg. Ihn kümmerte es auch nicht, daß andere Gäste in die Nische schielten. Vor der lauten Musik waren sie ein wenig durch die dicken Steinwände geschützt.
Luigi nahm das Glas. Er schaute zuerst den hochsteigenden Perlenschnüren nach und dann über den Rand hinweg in das Gesicht seiner Begleiterin. »Wie darf ich dich nennen, schöne Unbekannte?«
Sie hatte nur ihre Hand um den Stiel des Glases gelegt, das Glas aber noch nicht angehoben. »Wie ich schon sagte, Namen sind wie Schall und Rauch. Suche dir einen aus.«
Luigi überlegte einen Moment. »Dann nenne ich dich Engel.«
»Wie du willst.«
»Und wo kommt mein Engel her?«
»Vielleicht aus den Wolken.«
Luigi lachte. »Gut gekontert. Ich nehme es hin.« Er hob sein Glas ein wenig höher und stieß mit der Schwarzhaarigen an. »Auf uns und darauf, daß wir uns kennengelernt haben.«
Der Engel nickte.
Dann tranken sie. Eiskalt war der Champagner. Er erfrischte. Man schmeckte die Frucht durch, und die Unbekannte nickte. »Ja, das tat gut«, sagte sie.
»Und jetzt?« fragte Luigi, als sie die Gläser halbleer weggestellt hatten.
Das Mädchen hob die Schultern.
»Wenn du tanzen willst, Engel, dann…«
»Ich habe nichts dagegen.«
Gemeinsam erhoben sich die beiden. Die Unbekannte ging vor.
Luigi konnte erkennen, wie eng ihre Hose saß. Sie hatte eine prächtige Figur.
Bevor sie die Nische endgültig verließen, warf der junge Mann noch einen Blick zurück auf die Rückwand.
Luigi erstarrte.
Dort tat sich etwas.
In der Wand bewegte sich jemand, als wäre er dort festgeklemmt und hätte sich jetzt entschlossen, wieder hervorzutreten.
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