0346 - Medusas Horrorblick
hatte mich nicht getäuscht.
Auf einmal hörte ich die Stimme. Sie war da, doch ich sah den Sprecher nicht.
Beim Klang der mir unbekannten Stimme war ich automatisch stehengeblieben und schaute mich um.
Es war niemand zu sehen. Der andere mußte sich innerhalb der Dunstschwaden verborgen halten, aber sein Flüstern war für mich genau zu verstehen. »Willkommen im Land der Mythen und Legenden, das jenseits der Vergangenheit liegt…«
Jenseits der Vergangenheit…
Es lief mir kalt über den Körper, als ich nachdachte. Drei Worte nur, die jedoch eine immense Aussagekraft besaßen.
Jenseits der Vergangenheit…
Wo konnte das sein? Die Vergangenheit war für mich nicht meßbar, auch nicht begreifbar. Was also konnte dahinter liegen, und was lag dann diesseits der Vergangenheit?
Die Gegenwart?
Es wäre logisch gewesen, nur konnte ich mit der reinen Logik in dieser Dimension nichts anfangen. Hier war alles anders, und ich wußte genau, daß es zahlreiche Dimensionen gab. Vielleicht sogar unzählige, ich kannte von ihnen nur mehr einen winzigen Teil.
Ich war stehengeblieben, drehte vorsichtig den Kopf und suchte nach dem Sprecher.
Er war, wie ich es mir schon gedacht hatte, nicht zu sehen. Irgendwo im Verborgenen oder Unsichtbaren mußte er lauern, mich beobachten und auf mich warten.
Da ich ihn gehört hatte, würde auch er mich sicherlich hören können, deshalb fragte ich: »Wo bin ich hier? Was bedeutet es, im Land der Mythen und Legenden zu sein?«
Ich vernahm ein leises Lachen, bevor die orakelhaft klingende Antwort ertönte. »Dieses ist das Reich, das sich eigentlich die Menschen erschaffen haben. Hier wohnen und leben ihre Legenden, ihre Mythen. Hier kehren die ein, die in den Geschichten ihr Ende gefunden haben. Es ist ein Reich zwischen dem Diesseits und dem Jenseits. Eine Welt, wie viele andere auch, nur eben mit eigenen Gesetzen.«
Wieder war ein neuer Begriff aufgetaucht: zwischen dem Diesseits und dem Jenseits.
Ich wußte, daß es solche Reiche gab. Tanith war darin gefangen, vielleicht auch die stummen Götter, demnach mußte es so sein, daß nicht nur ein Reich existierte, sondern mehrere, die zudem voneinander getrennt waren.
Ich war fasziniert, obwohl mich gleichzeitig eine gewisse Furcht überkommen hatte. Trotzdem wollte ich mehr wissen und fragte danach.
»Du bist ein Mensch«, hörte ich die Stimme. »Und Menschen haben dieses Reich geschaffen. Es ist ihre Phantasie, die hier lebendig geworden ist. All ihre Vorstellungen haben in diesem Reich einen Bezugspunkt. Wen du dir auch vorstellst, über wen du nachdenkst, er wird erscheinen, denn die Legenden sind nicht tot.«
»Und welche?«
»Alle Legenden. In diesem Reich kommen sie zusammen, hier treffen sie sich. Hier ist die Phantasie der Menschheit gespeichert, und wer hineinkommt, wird sehen können.«
»Auch ich?«
»Ja, auch du.«
Meine Kehle war plötzlich trocken geworden. Ich ließ mir die Worte des unbekannten Sprechers noch einmal durch den Kopf gehen und dachte daran, daß ich es wirklich auf einen Versuch ankommen lassen mußte. Aber ich wollte sehr vorsichtig zu Werke gehen, denn dabei konnte ich böse Überraschungen erleben.
Automatisch glitten meine Gedanken zurück. Ich erinnerte mich wieder an die Gegenwart, an meinen Freund Bill Conolly und an das Büro, das wir durchsucht hatten. Der Schrank war von uns geöffnet worden, und ich war verschlungen worden von einem Tunnel der Zeiten.
Wenn Legenden Wahrheit wurden, dann konnte auch die Legende zur Wahrheit werden, die mich in dieses Reich geschafft hatte.
Es war die der Medusa!
Auch eine Legende. Eine ferne, griechische, geboren in der Vergangenheit, in der Zukunft lebend, wie man mir drastisch bewiesen hatte. Medusa war tot, die Sage erzählte, daß ihr Perseus den Kopf abgeschlagen hatte.
Wenn ich mich also in einem Reich aufhielt, wo Legenden wahr wurden, konnte es durchaus sein, daß ich die Medusa plötzlich vor mir sah. Als lebendige Person, denn auf der Erde war sie gestorben.
Es wurde eng in meinem Hals. Vor dieser Gorgonin hatte ich große Angst. Überhaupt war es gefährlich, sich mit Göttern und Gestalten der Mythologien anzulegen, das hatte ich bei Pandora erlebt, die ebenfalls nicht zu unterschätzen war.
Aus diesem Grunde verbannte ich die Gedanken aus meinem Hirn und fragte in die Stille hinein: »Wer bist du, daß du in meiner Sprache überhaupt zu mir reden kannst?«
Ein leises, dennoch zu verstehendes Lachen war die Antwort. »Ich bin
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