0349 - Brücke der knöchernen Wächter
Hölle. Uralte Dämonen und Dschinns sind dort zu Hause. Da rüstet man zum Kampf, da werden die Heerscharen geboren.«
»Gegen wen soll dort gerüstet werden?« fragte ich. »Weißt du es? Gegen Menschen?«
»Auch, vielleicht…« Sie hob die Schultern, und ihr Umhang bewegte sich dabei. »Aber es gibt andere Kräfte. Ganz andere …«
»Erzähle mir mehr darüber.«
Aische lachte leise. »Nein, John Sinclair, das mußt du schon allein herausbekommen. Ich weiß nichts, denn ich bin viel zu schwach. Ich sollte nur die Erweckung meines Großvaters miterleben. Das ist eingetroffen. Ich habe ihn und seine Reiter gesehen.«
Ich deutete in die Runde. »In diesem Raum?«
»Hier sind sie hergeritten.«
Einen Grund, an den Worten der Frau zu zweifeln, hatte ich nicht.
Deshalb nickte ich und stellte die nächste Frage: »Ich vermisse zwei Freunde von mir. Einen Chinesen und einen Franzosen. Dabei rechne ich damit, daß meine Freunde von den Reitern und auch von deren Anführern mitgenommen worden sind. Hast du sie auch gesehen?«
»Sie lagen auf den Pferden.«
Die Antwort elektrisierte mich. »Dann… dann sind sie hier durch den Raum geritten?«
»So ist es, John.«
»Und wohin?«
Sie begann plötzlich zu lachen. »Wohin wohl, Fragender. In das Land ohne Grenzen. Zur Brücke der Skelette, zum Baum der Toten, das allein ist ihr Ziel.«
Ich wischte über mein Gesicht und spürte den Schweiß. Die Luft kam mir plötzlich so schwer und bleiern vor. Irgendwie hatte ich das Gefühl, es nicht mehr zu schaffen. Der Bai von Tanger und seine mörderischen Reiter besaßen einen zu großen Vorsprung, zudem befanden sie sich in einer anderen Welt, die von mächtigen Dämonen beherrscht wurde und von der ich nichts wußte.
»Gibt es einen Eingang in diese Welt?«
Aische bewegte den Kopf. »Den Eingang gibt es. Ich habe hier fast immer gelebt. Ein ganzes Leben konnte ich in diesem Haus verbringen, das nicht ohne Grund. Denn ich habe den Eingang gehütet. Es war mein Schicksal als Bais Erbin. Ich mußte hier wohnen und auf ihn warten. So war es vorgeschrieben. Nun ist er zurückgekehrt in das Land ohne Grenzen. Er wird zu denen hinreiten, die auch im Tod eine schützende Hand über ihn gehalten haben, sich bei ihnen melden und sie in ihrem großen Kampf gegen mächtige Feinde unterstützen.«
»Wer sind diese Dschinns?«
»Es ist nicht einfach, dir dies zu erklären. Du müßtest schon im Koran nachlesen. Es gab eine Zeit, die sehr lange zurückliegt und zu der man auch graue Vorzeit sagt. Dort ist alles entstanden, das Gute und auch das Böse. Der Scheitan und die Engel…«
»Sprichst du von Luzifer?« Ich unterbrach sie einfach, weil ich eine Antwort haben wollte.
»Ja, so sagt ihr zu ihm!«
Wieder stieg meine Spannung. Sogar so stark, daß ich Herzrasen bekam. »Und gibt es dort auch eine mächtige Herrscherin des Bösen, die man die Große Mutter nennt?«
Aus ihren weisen Augen blickte sie mich an. »Die Große Mutter?« fragte sie leise nach.
»Ja, aber sie hat auch einen anderen Namen. Manche sagen Lilith zu ihr. Verstehst du? Lilith…«
»Diesen Namen kenne ich, John Sinclair. Ich weiß, daß sie die erste schlechte Frau war. Auch im Koran steht etwas darüber geschrieben. Ja, Lilith…«
»Und hat sich der Bai mit ihr verbündet? Hat er ihr die Dienste angetragen? Ich muß es wissen!«
»Das kann ich dir nicht sagen, John Sinclair. Ich weiß es wirklich nicht. Alles ist zu weit weg. Es liegt sehr in der Ferne. Zeiten gibt es nicht mehr, das weißt du…«
Ja, das wußte ich, aber ich sah plötzlich wieder Zusammenhänge.
Wir waren gekommen, um Laila und Aldo abzufangen. Dies hatte sich als Fehlschlag erwiesen, weil unsere Gegner doch schlauer reagiert hatten, als wir annahmen. Dafür waren wir an den Bai von Tanger geraten, doch es gab, wie ich den Erzählungen der alten Frau entnahm, zwischen den beiden eine Verbindung.
»Du denkst nach?« fragte sie mich.
Ich hatte längst Vertrauen zu dieser Frau gefaßt. »Ja, ich denke nach«, sagte ich leise. »Und ich weiß auch, daß es eine Verbindung zwischen der Großen Mutter und den Personen gibt, die ich gesucht habe.«
»Wer sind diese Personen?« wurde ich gefragt.
»Ein Mann und eine Frau. Sie stehen mit den stärksten Dschinns in Verbindung. Die Frau heißt Leila, der Mann Aldo. Hast du verstanden? Leila und Aldo?«
»Ich kenne sie nicht. Beschreibe sie mir.«
Das tat ich. Und es fiel mir nicht schwer, Leila zu beschreiben, denn sie war eine
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