036 - Die Hand des Würgers
kann, von denen der andere Teil der Persönlichkeit nichts weiß. Das kann doch ganz genauso auf mich zutreffen.
Allerdings habe ich keinen Grund gehabt, Loulou zu erwürgen. Es ist zwar richtig, daß ich manchmal gewissen Versuchungen ausgesetzt war. Fröhliche Mädchen mit glänzenden Augen. Die Katze.
Und selbstverständlich war ich auch immer eifersüchtig auf Renaud, weil er das von den Mädchen bekam, was sie mir immer verweigern werden.
Aber diese seltsame Sache mit Corinne, die ich doch förmlich anbete.
Hatte sie nicht gesagt: ‚Es hatte kein Gesicht’? Und dann hatte sie doch auch diese Hand gesehen.
Aber jetzt kann ich mich ja nicht aus dem Zimmer bewegen. Ich habe zu Abend gegessen, und dann ließ ich mich an die Kette legen. Monsieur Feras hat mich Renaud anvertraut. Er soll die Nacht über bei mir bleiben, solange ich mich im Keller befinde. Faraud wollte sich nicht hinaufbringen lassen. Er zog es vor, bei mir zu bleiben. Armer, alter Faraud, du bist doch ein treuer Bursche.
Renaud findet es vermutlich nicht sehr angenehm, die ganze Nacht im Keller verbringen zu müssen. Monsieur Feras hat ihm befohlen, ein Bett für mich herzurichten, und es steht in einer Ecke. Dort verbringe ich die langen Stunden und versuche zu schlafen. Wenn ich wach bin, drehe ich mich zur Mauer.
Renaud ist wieder nach oben gegangen. Ich höre, wie er im Garten herumgeht, und ich liege auf meiner elenden Pritsche. Ich rauche ein wenig, und im übrigen denke ich darüber nach, daß ich mich glücklich schätzen darf, wenn ich daran gehindert bin, jemanden umzubringen.
Ich mustere meinen verstümmelten Unterarm. Wie sollte ich damit eine solche Untat begehen können? Ah, in meinem armen Kopf geht alles durcheinander. Es ist für mich viel zu schwierig, ich werde damit nicht fertig.
Ich muß wieder einmal zu schlafen versuchen.
Ich weiß nicht, warum, aber ich glaube vor mir immer die Schmetterlinge von Monsieur Feras zu sehen; dabei herrscht aber im Keller ein solches Dunkel, daß ich nicht einmal die Hand vor den Augen richtig sehe.
Es sind unzählige Schmetterlinge, die Monsieur Feras hat. Er liebt sie sehr. Sie scheinen zu Dutzenden, zu Hunderten durch den Keller zu schwirren. Ihre Flügel vibrieren, und sie sind unheimlich lebendig. Das Schwirren der Flügel klingt wie ein leises Murmeln. Manche von ihnen haben Zeichnungen auf ihren Flügeln, die riesigen, leuchtenden Augen gleichen, oder sie haben sehr geheimnisvolle, beunruhigende, merkwürdige Muster.
Ich bin der Mittelpunkt eines Kreises von Schmetterlingen. Sie sind alle den zahlreichen Kästen entkommen, in denen Monsieur Feras sie hinter Glas aufhebt.
Ach, wie bin ich dumm! Diese Schmetterlinge sind doch seit langem tot, konserviert, vertrocknet.
Aber die Schlange lebt. Sie ist kalt und hat viele Glieder. Ja, sie lebt und ist sehr wirklich.
Das ist die Kette.
Ich spüre den Kragen um meinen Hals. Und die Kette schimmert auf meinem Leib, auf meinen Armen. Ich fühle ihr Gewicht, das auf meine Pritsche drückt. Sie ist wie ein unglaublich lebendiges Zauberwesen, das der geringsten Bewegung folgt, sogar jedem Atemzug. Ich glaube, sie rührt sich sogar dann, wenn mich ein Gedanke sehr beschäftigt oder erregt.
Es ist ein Reptil, eine unendliche Schlange, die mich nicht losläßt.
Monsieur Feras hat mir gesagt: „Wenn du es zu grausam findest, dann mußt du Renaud rufen, die dich befreit. Er hat den Schlüssel zu diesem Halseisen.“
Aber das will ich ja gar nicht. Ich habe viel zu sehr Angst vor dem, was ich tun könnte, würde man mich befreien.
Renaud ist wieder einmal heruntergekommen, um nach mir zu sehen, ob ich etwas brauche.
Ich habe das Licht ausgelöscht und kauere in meiner Ecke wie der elendste aller Hunde, der sich nicht rühren kann.
Faraud weiß das, und auch er bewegt sich nicht.
Renaud ist wieder nach oben gegangen. Zweifellos glaubt er, ich sei eingeschlafen. Wir haben vorher verabredet, daß er sich voll angekleidet auf mein Bett legen wird. Er wird also die ganze Nacht in meinem eigenen Haus bleiben und mich beim Morgengrauen wieder befreien. Dann begleitet er mich zu Monsieur Feras, bei dem ich den ganzen Tag hindurch arbeiten werde. Auf die Art bin ich ständig überwacht.
Habe ich es nicht selbst so gewollt?
Aber nun muß ich endlich einmal ein wenig schlafen. Ich werde versuchen, mein ganzes Unglück zu vergessen, auch zu vergessen, daß ich angekettet bin und daß das Halseisen an meinem Hals unangenehm
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