0364 - Mongolenfluch
Beschreibung.«
Wang Lees Hände zitterten leicht. Für ihn war es noch gar nicht lange her! Der Zeitsprung hatte ihn in die Gegenwart geholt! Leonardo dagegen, dessen Geburtsjahr lange, lange vor dem Wang Lees lag, und der noch den ersten Kreuzzug gen Jerusalem mitgemacht hatte, war im Laufe der vielen Jahrhunderte gewachsen. Er hatte sich einst der Hölle veschrieben, und als er starb, war seine Seele dem Höllenfeuer verfallen. Doch statt verzehrt zu werden, wurde sie in diesem Feuer gestählt. Und Asmodis war es, der Leonardo damals einen neuen Körper gab und ihn auf die Erde zurückschickte, um Böses zu wirken. Er hatte damals nicht ahnen können, daß Leonardo selbst zum Dämon wurde - und nun auf dem Thron des Asmodis saß…
Oder hatte er es doch geahnt, jener Asmodis, der spurlos verschwand?
»Ich muß wissen, was dort geschieht, wo ich einst Ghet-Scheng erbauen ließ«, fieberte Wang Lee. »Laßt mich dorthin gehen und nach dem Rechten sehen, Herr. Ich muß es wissen.«
Leonardo starrte ihn an. Er überlegte lange, ob er seinem Vasallen diesen Freiraum gewähren sollte.
Dann aber nickte er!
»Geh und schau, schau und handele«, sagte er. »Und berichte mir, wer jener namenlose Dämon ist, der Zamorra nicht kennt. Und vielleicht -vielleicht triffst du dort sogar auf Zamorra selbst. Denn grundlos fragte der Namenlose nicht nach Zamorra. Wenn du den Geistertöter triffst - so tue, was getan werden muß. Vernichte ihn.«
Wang Lee verneigte sich tief.
»Ihr wißt, daß ich stets tue, was Ihr mir auftragt, Herr«, sagte er. »Ich höre und gehorche! Und ich danke Euch, Herr, für die Gunst, nach dem sehen zu dürfen, was einst meine Stadt war…«
»Danke mir nicht zu früh, Mongolenfürst«, lachte Leonardo meckernd. »Vielleicht gehst du in den Tod. Zamorra ist gefährlich, du weißt es. Er hat mehr Leben als eine Katze!«
Aber Wang Lee verneigte sich nur ein weiteres Mal und ging dann. Er wußte, was er von Zamorra zu halten hatte.
Im Gegensatz zu Magnus Eysenbeiß war Zamorra ein fairer Gegner, gegen den zu kämpfen es ihm Vergnügen bereitete. Oft genug hatten sie sich schon gegenübergestanden. Und Wang Lee schätzte seinen Gegner.
Er würde es bedauern, stürbe Zamorra eines Tages…
Aber wenn Zamorras Stunde schlug, dann wollte es Wang Lee sein, der ihm die Ehre des tödlichen Stoßes gab…
Mit diesen Gedanken verließ er die sieben Kreise der Hölle und reiste zur Welt der Sterblichen, um sich in seiner einstigen Heimat umzusehen.
Ghet-Scheng!
Was war aus den rauchenden Trümmern seiner niedergebrannten Stadt geworden?
***
Su Ling hatte schon im Lokal erfaßt, daß höchste Gefahr drohte. Als das Etwas über den sich duckenden Tendyke hinwegzischte und auch Su Ling nur um Haaresbreite verfehlte, sah sie im Gesicht des Mongolen etwas, das ihr Furcht einflößte.
Sie sah Tendyke aufspringen und dem Mann nachlaufen. Sie sah sich nach dem geworfenen Etwas um, aber im gleichen Moment weigerte sie sich, zu begreifen, worum es sich bei diesem Ding handelte. Ihr Verstand sperrte sich einfach dagegen, um sich vor Schaden zu bewahren. Aber ihr Verstand sagte ihr auch, daß sie verschwinden mußte. So bald wie möglich.
Sie verließ das Lokal. Um die Rechnung mochte sich kümmern, wer wollte. Su Ling hatte nicht die Absicht, auch nur noch mehr als eine Stunde in Peking zu verbringen.
Man hatte sie aufgespürt!
Sie fragte sich keine Sekunde lang, wer sie aufgespürt hatte und warum, und auch nicht, woher das plötzliche Wissen in ihr kam. Sie handelte nur noch, blitzschnell und präzise. Erst später wurde ihr klar, daß es eigentlich nur eine Panikreaktion gewesen war.
Sie lief durch die Straßen. Bis zum Hotel »Glücklicher Drache« war es nicht weit. Sie betrat es durch den Personaleingang, weil ein Instinkt sie warnte. Den Zimmerschlüssel trug sie bei sich, hatte ihn beim Verlassen des Hotels nicht an der Rezeption abgegeben. Das kam ihr jetzt zugute. Sie packte in Windeseile ihr leichtes Fluggepäck zusammen und verließ das Hotel. Den Schlüssel, an dessen Anhänger eine Plakette mit der Hoteladresse hing, warf sie in irgend einen Briefkasten. Er würde auf dem Postweg seinen Bestimmungsort wieder erreichen.
Sie fand ein Taxi und ließ sich zum Bahnhof bringen. Am Abend, als Ten-dyke nach ihr zu suchen begann, war sie längst weit fort.
Ihr Ziel kannte sie selbst nicht. Aber etwas zog sie unaufhaltsam nach Nordwesten. Dort war etwas, das auf sie wartete.
Dorthin mußte sie.
Ehe
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