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0367 - Der Hexenbaum

0367 - Der Hexenbaum

Titel: 0367 - Der Hexenbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Hintergrundrauschen einer Großstadt, und der Nachthimmel wurde von einer Lichtaura überstrahlt, die von abertausenden Lampen und Leuchtreklamen hervorgerufen wurde.
    Sie erkannte, daß sie sich in einer der Grenzzonen der Stadt befand. Schon bald näherte sie sich den Straßen und fand mehrere Taxen, die in der Nähe eines größeren Restaurants auf Kundschaft warteten.
    Sie bestieg eines, nannte dem Fahrer Su Lings Adresse und ließ sich durch den spätabendlichen Stadtverkehr chauffieren. San Francisco war ihr fremd, deshalb konnte sie nicht nachprüfen, ob der Mann einen Umweg fuhr, aber selbst für eine Stadt mit einer Dreiviertelmillion Einwohner kam ihr die Tour zu lang vor; ihr Trinkgeld fiel knapp aus. Ihr Orientierungsvermögen sagte ihr, daß sie mindestens einmal annähernd im Kreis gefahren waren.
    Jetzt stand sie in einer Seitengasse, die von der Grant Street abzweigte. Obwohl es sich um Hochhäuser im amerikanischen Baustil handelte, besaßen sie durch ihre Dekoration und ihre Fassadengestaltung einen unverwechselbaren asiatischen Hauch. Chinatown war unverwechselbar.
    Nicole sah auf ihre Uhr. Es war schon relativ spät. Konnte sie es um diese Zeit überhaupt noch wagen, Ling zu stören? Was war, wenn die Dolmetscherin überhaupt nicht daheim war? Sollte sie nicht vorher einen Anruf probieren und ihr Auftauchen ankündigen?
    Sie entschied sich dagegen. Sie war hier, und damit lag der Fall klar. Nicole war froh, daß sie sich damals die Adresse gemerkt hatte, die Su Ling genannt hatte. So hatte sie nicht lange suchen müssen.
    Sie fand das Haus sofort, auch den Eingang, der zwischen zwei um diese Uhrzeit geschlossenen Läden lag. Die Chinesen gingen früh zu Bett, machten daher auch recht früh Feierabend und waren dafür noch früher am Morgen wieder auf den Beinen. Daran hatte sich auch durch die Auswanderung nach Amerika nicht viel geändert. Sie waren immer ein eigenes Völkchen mit eigenen Sitten und Gebräuchen geblieben.
    Die Haustür war geöffnet, und eine mit buntem Papier anstelle von Glas verkleidete Lampe spendete genug Licht, um die Namensschilder erkennen zu lassen. Einige waren in chinesischer Schrift abgefaßt, aber zu Nicoles Erleichterung fand sich der Name Su in lesbaren Zeichen.
    Unwilkürlich amüsierte sie sich bei dem Gedanken, daß die Familie Su recht groß sein mochte und sie vielleicht nicht das Mädchen Ling allein antraf, sondern auch deren Eltern, Großeltern, Brüder, Schwestern und Vettern. Vor allem Vettern, dachte Nicole schmunzelnd. Böse Zungen behaupteten, jeder in den USA lebende Chinese hätte mindestens 700 Vettern, die ihm irgendwie zu Freundschaftsdiensten verpflichtet waren. Aber Nicole wollte ja nicht hier über Nacht bleiben. Wahrscheinlich war es sogar am besten, wenn sie Ling mit sich nahm in ein Hotel. Wenn die schwarzhaarige Hexe darauf aus war, Ling zu töten, würde sie mit Sicherheit inzwischen auch wissen, wo sie die Chinesin aufsuchen mußte.
    Nicole begrub den Klingelknopf unter ihrem Zeigefinger.
    Sie hörte von irgendwoher aus den oberen Etagen des Hauses eine einschmeichelnde Melodie in der typisch asiantischen Fünf-Tonleiter-Folge.
    Nichts rührte sich. Nicole hörte Stimmen von sich unterhaltenden Chinesen, aber das war normaler Betrieb im Haus. War in der Su-Wohnung niemand anwesend?
    Vielleicht war Ling nach Florida geflogen, zu Rob Tendyke? Sie sah zwar nicht aus wie ein Mädchen, das sich willig vernaschen ließ, auch nicht von dem Abenteurer und Geschäftsmann, der seinen Landsitz gern mit hübschen Mädchen verschönte, aber vielleicht hatte er sie aus geschäftlichen Gründen zu sich gebeten… Nicole und Zamorra wußten immer noch nicht, mit welcher Art von Geschäften er sein Geld verdiente oder verdienen ließ. In China hatte er etwas von Technologie-Transfer gemurmelt und auch für einen Geschäftsfreund aus Texas Ölbohr-Lizenzen ausgehandelt. Aber er war Fragen immer so gut wie möglich ausgewichen…
    Nicole betätigte die Türklingel ein zweites Mal.
    Plötzlich erklang dicht neben ihrem Ohr eine Stimme in akzentfreiem Amerikanisch. »Was wünschen Sie?«
    Nicole fuhr herum.
    Ein furchterregender Drache starrte sie aus kleinen Augen durchdringend an.
    Es war die bunte Verkleidung einer Wechselsprechanlage. Drachen zählen in China zu den Glücksbringern, und hier hatte man diese Verkleidung wohl angebracht, um Besucher gleich einen positiven Eindruck zu vermitteln.
    Nicole glaubte die Stimme erkannt zu haben.
    »Su Ling, bist

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