0372 - Werwolf-Omen
anders.
Ich hatte den rechten Arm ausgestreckt. Für einen Moment mußte ich wieder an Laura Ascot denken.
Ich sah sie auf der Straße vor den Reifen meines Bentley liegen. So hilflos, so allein, blaß und erschöpft. Dann verschwand das Bild vor meinem geistigen Auge. Die Realität hatte mich wieder, ich starrte den Werwolf an, der einmal Laura Ascot gewesen war.
Ein Tier mit magischer Kraft, das alles vernichten würde, was sich ihm in den Weg stellte.
Es gab nur eine Lösung – die Kugel!
Für die Mutter aber nicht. Ich hatte Alexis nicht mehr beachtet und auch nicht mit ihrer Kaltblütigkeit gerechnet. Plötzlich stieß sie sich ab. Innerhalb eines Augenblicks überwand sie die Entfernung zu mir und hämmerte gegen meinen Waffenarm.
»Nein, du wirst nicht schießen!« brüllte sie, stieß mir noch ein Knie in die Hüfte, sprang auf den Käfig zu und stellte sich mit ausgebreiteten Armen und Beinen davor.
»Erst mußt du mich killen!« flüsterte sie. »Wenn du eine Kugel abschießen willst, soll sie mich treffen, aber nicht meine Tochter!«
»Sie ist eine Bestie!«
»Neiiinnn!« brüllte Alexis und deutete mit dem Zeigefinger gegen ihre Brust. »Laura ist mein Kind. Nur wenn dieser verdammte Vollmond am Himmel steht und sie der Fluch der alten Zeit trifft, wird sie zur Bestie. Hast du gehört? Nur dann. Ansonsten ist sie völlig normal. Und sie hat auch niemand getötet oder angegriffen. Dafür habe ich gesorgt.« Alexis holte Luft, sie schüttelte dabei den Kopf.
»Ich habe sie unter Kontrolle. Wenn du sie vernichten willst, nur über meine Leiche, Sinclair!«
Nur über meine Leiche! Ich konnte mir vorstellen, daß es kein Bluff war. Gut, ich hatte diese Frau einmal überwältigt, es würde mir auch ein zweitesmal gelingen, aber da waren vier Worte, die mich hatten aufmerksam werden lassen.
Ein Satz nur.
Fluch der alten Zeit!
Unsere Blicke fraßen sich ineinander. Alexis mußte bemerkt haben, daß etwas in mir vorging, denn ein kurzes Lächeln zuckte um ihre Lippen. Es wirkte so, als wollte es mich verhöhnen.
»Was haben Sie gesagt?« fragte ich, ohne den Arm mit der Waffe sinken zu lassen.
»Ich sprach vom Fluch der alten Zeit.«
»Können Sie das näher erklären?«
Ihr Lächeln vertiefte sich. »Bevor die Menschen waren, waren die Wölfe. Kennen Sie den Satz?«
Wußte sie eigentlich, wer ich war? Hatte sie hiermit ihren letzten Trumpf ausgespielt? »Ich habe ihn schon gehört«, gab ich zu.
»Es ist der Fluch der alten Zeit.« Sie spreizte den Daumen ab und drückte ihn nach hinten. »Meine Tochter hat er getroffen. Sie hat unter ihm zu leiden…«
»Und Sie nicht?«
»Nein«, erwiderte sie. »Ich nicht. Er überspringt hin und wieder eine Generation.«
»Bisher habe ich alles verstanden. Nur muß Ihre Tochter einen Vater gehabt haben. Wer war Ihr Mann, Alexis?«
»Ein Ascot.«
»Das es kein Miller war, damit habe ich fest gerechnet. War er ein Mensch, oder haben Sie sich mit einem Wolf eingelassen.«
»Das brauchte ich nicht. Die Ascots sind Menschen. Sie sorgen sich um ihre Familie und den Clan.«
»Der Sie allein gelassen hat.«
»Das stimmt nicht. Auch die Ascots sind mit dem Fluch der alten Zeit beladen. Ich habe es erlebt, Sinclair. Mein Mann ist normal, wenigstens so lange, bis wir Vollmond haben. Dann aber garantiere ich für nichts. Dabei ist Laura noch harmlos.«
»Dann käme ich also in den Genuß, ihn kennenzulernen?« erkundigte ich mich.
»Ob es ein Genuß ist, kann ich ihnen nicht versprechen.« Sie ließ die Arme sinken. »Sinclair, wir stehen auf verschiedenen Seiten, aber irgendwie habe ich einen Narren an Ihnen gefressen, obwohl Sie die Frechheit besaßen, mich zurückzuweisen. Das hat noch keiner getan, ich will Sie trotzdem warnen. Die Nacht ist noch jung. Bis zum frühen Morgen haben wir Zeit. Man kann in einigen Stunden viel schaffen. Und Sie haben sich einen Zeitpunkt für Ihren Besuch ausgesucht, wie er ungünstiger nicht sein konnte. Eigentlich sind Sie schon tot.«
»Ach…«
»Ja, Sie können es nicht schaffen. Niemand kommt gegen den Fluch der alten Zeit an. Auch sie nicht. Ich weiß, wer Sie sind. Sie haben manchem Schwarzblütler die Hölle heiß gemacht, und ich weiß auch, daß eine Werwölfin namens Lupina im Mahlstrom der Zeiten verschollen ist und dort verzweifelt auf ihre Rückkehr wartet und darauf hofft, daß sich Fenris, der Götterwolf, ihr gegenüber gnädig erweist. Aber er konnte nicht vergessen. Vielleicht wird er sie irgendwann
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