0377 - Der letzte Gast kam aus Sing-Sing
Unter einem Wust von Papieren fischte er einen hellblauen Fahrplan heraus.
Ich suchte die Streckenverbindung, an der das Geld deponiert werden sollte.
»Wie lange braucht ein Personenzug vom Bahnhof bis zum Streckenhäuschen?«
Wesley überlegte kurz.
»Acht bis neun Minuten etwa.«
»11.52 Uhrfährt ein Vorortzug nach Plainfield. Er wird also um 12 Uhr an der angegebenen Stelle sein. Ich bin sicher, an dem Streckenhäuschen hängt eine Nachricht, wonach die Tasche irgendwie in den Zug befördert werden soll. Das heißt, wenn wir die Stelle noch so gut bewachen, entwischt er uns ungeschoren.«
»Dann packen wir dreißig Mann in den Zug«, knurrte Wesley unternehmungslustig. »Wenn jemand nach dem Geld angelt, greifen wir zu.«
»Das riecht Ironface auf zehn Meilen gegen den Wind. So bekommen wir ihn nicht.«
»Stoppen wir den Zug doch einfach eine halbe Meile weiter.«
»Es kann genauso gut sein, dass Ironface einen Komplizen im Zug hat. Der versteckt die Tasche in dem Moment, wo die Bremsen kreischen. Dann stehen wir da wie bestellt und nicht abgeholt.«
Ich hatte bereits eine Idee, wie wir Ironface besser schnappen konnten. Ohne großes Aufgebot.
»Was soll ich jetzt tun?«, fragte Sid Clymer unruhig.
»Gehen Sie schlafen. Morgen Vormittag komme ich wieder, und dann bereiten wir alles Nötige vor.«
Wir verabschiedeten uns und fuhren ins Revier zurück. Wesley zog ein bedenkliches Gesicht.
»Sollen wir die Villa nicht bewachen lassen?«, meinte er.
»Das hatte ich sowieso schon vor. Obwohl ich nicht glaube, dass der Erpresser diese Nacht noch etwas von sich hören lässt.«
Aus dem Bordfunkgerät hörten wir plötzlich eine verschlafene Stimme. Alle Wagen wurden zur Bloomfield Avenue gerufen. Gefahndet wurde nach einem angeschossenen Mann, der sich in ein Feuergefecht mit einem G-man eingelassen hatte.
»Das muss Phil sein«, sagte ich hastig. »Fahren wir hin.«.
Mit rotierendem Rotlicht schlug Wesley die neue Richtung ein. So schnell es ging, rasten wir zur Unfallstelle.
***
Der Morgen graute schon, als Phil und ich den Portier aus den Federn trommelten. Er machte ein höchst ungnädiges Gesicht, schluckte aber seine Bemerkungen hinunter. Ich zeigte ihm meinen Ausweis und bat ihn, zwei Einzelzimmer für uns aufzutreiben.
Ich hängte noch einen großen Zettel an die Tür mit der Bitte, mich um neun Uhr zu wecken.
Minuten später lag ich im Bett. Fest und traumlos schlief ich, bis mich ein kräftiges Trommeln weckte.
Es war bereits zehn nach neun. Nachdem ich geduscht und angezogen war, traf ich Phil in der Frühstücksbar. Er rührte gedankenverloren in einer Tasse Kaffee.
»Ich möchte nur wissen, wo der Bursche gelandet ist«, setzte er die Unterhaltung der letzten Nacht fort.
»Ich habe gerade im Revier angerufen, aber sie haben nichts gefunden, obwohl der ganze Wasserlauf letzte Nacht noch gründlich abgesucht wurde.«
»An der Louis Street ist ein festes Eisengitter, weiter kann er nicht gekommen sein.«
»Dann besteht entweder die Möglichkeit, dass der Verbrecher von irgendeinem Helfer geborgen wurde oder dass er nur simulierte.«
»Jedenfalls hat er eine eiskalte Überlegung an den Tag gelegt«, sagte ich. »Er hat dir an der Ecke aufgelauert und darauf gehofft, dass die Ampel auf rot steht. Das tut sie übrigens meistens, denn die Querstraße ist die Hauptverkehrsader, sodass die Kraftfahrer dort länger grün haben.«
Wir beendeten unser Frühstück. Dann blickte ich auf die Uhr.
»Das beste ist, du besorgst dir ein Walkie-Talkie und eine Eisenbahnermütze. Damit begibst du dich zum Streckenhäuschen. Liegt Ironface bereits auf der Lauer, hält er dich bestimmt für einen harmlosen Streckenarbeiter. Du verkriechst dich und lässt dich nicht mehr blicken.«
»Und wenn ich ihn kommen sehe, rufe ich per Sprechfunk um Hilfe. Vielleicht fangen wir ihn ab, wenn er die Nachricht für Clymer hinterlegt.«
Während sich mein Freund zum Bahnhof begab, fuhr ich zu Sid Clymer. Die drei Cops, die das Gebäude bewachten, sahen wie harmlose Spaziergänger aus. Sie wurden jede Stunde ausgetauscht, damit der Verbrecher keinen Verdacht schöpfen konnte.
Clymer sah übernächtig und nervös aus. Die unvermeidliche Zigarre drehte er unentwegt zwischen den Fingern.
»Gut, dass Sie da sind, Agent Cotton«, sagte er erleichtert. »Ich habe in der ganzen Nacht kein Auge zugemacht.«
Ich versuchte, ihn zu beruhigen, und entwickelte ihm meinen Plan.
Ich ließ mir eine passende Aktentasche geben
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