038 - In den Fängen des Weltrats
Pieroo schien nicht im Geringsten daran zu zweifeln, dass die Weisheit eines Schamanen groß genug war, um über die Belange eines ganzen Volkes zu entscheiden.
»Ich bin nur ein Mensch, aber das ist eine Frage für Götter. Sie haben mir heute Morgen die Antwort gegeben. Warte bis zur Kriegerversammlung am Abend, dort werde ich sie allen mitteilen.« Pieroo zuckte zusammen. »Hm… musstu? Isch glaub, das wä Samtha nisch rescht… un mi au nisch so…« Er senkte den Kopf und begann nervös mit einem Fischkopf zu spielen.
Mulay runzelte die Stirn, hatte plötzlich den Eindruck, Teil eines großen Missverständnisses zu sein.
»Pieroo«, fragte er vorsichtig, »worüber genau reden wir hier eigentlich?«
»Sex«, kam die Antwort und damit gleichzeitig das verständlichste Wort, das der Hüne seit seiner Ankunft bei den Stämmen ausgesprochen hatte. »Samtha un isch, wi harn uns do gefraht, obme no düffe, weil se do en Kin krischt unnso… un da dacht isch, isch frah disch ma.«
»Oh… ich verstehe.« Mulay unterdrückte mühsam ein Grinsen bei dem Gedanken, dass Pieroo nun glauben musste, er würde sein Privatleben vor allen Kriegern offen legen, wurde dann jedoch schnell wieder ernst. Schließlich trug er selbst die Schuld an dem Missverständnis. Er war so in seinen eigenen Gedanken gefangen, dass er alles auf sich bezog.
»Ich bitte dich um Entschuldigung«, sagte er mit einer förmlichen Verbeugung. »Ich hätte dir besser zuhören müssen. Natürlich werde ich -«
»Mulay!«, unterbrach ihn ein aufgeregter Ruf.
»Da ist etwas auf dem Wasser!«
Er sprang auf und sah zu dem Krieger, von dem der Ruf gekommen war und der jetzt winkend auf den Dünen, stand. Rund um ihn her kam Bewegung ins Lager. Männer und Frauen wandten sich von den Feuern ab und griffen zu den Waffen. Ihre Gesichter verschwanden hinter dunklem Stoff. Innerhalb weniger Herzschläge hatten sie sich auf einen Kampf vorbereitet.
Mulay schloss seinen eigenen Gesichtsschutz und folgte Pieroo zu den Dünen. In der Welt, in der sie lebten, bedeutete Unerwartetes meist nichts Gutes.
Der Krieger, der gewunken hatte, verneigte sich leicht vor Mulay und zeigte hinaus auf das Meer.
»Ich habe so etwas noch nie gesehen«, sagte er. »Ist es ein Gefährt der Götter?«
Der Schamane verschränkte die Arme vor der Brust. Was dort draußen über das Wasser glitt, war ein Schiff, so viel konnte er sagen. Allerdings hatte es weder Segel noch Kufen. Sein Rumpf war stark abgerundet und glänzte wie Metall. Es schien das Wasser kaum zu berühren, schwebte darüber hinweg wie ein Seevogel, der nach Nahrung sucht. Der Wind trug ein tiefes Brummen bis zu den Dünen.
»Nein«, entschied Mulay, »das ist kein Gefährt der Götter. Menschen haben dieses Schiff gebaut.«
Er wusste nicht, woher er diese Gewissheit nahm, und auch der Krieger sah ihn eher zweifelnd an. Welche Menschen sollten zu so etwas in der Lage sein?
Das Schiff änderte plötzlich seinen Kurs, kam jetzt genau auf die Dünen zu. Der Krieger stieß einen schrillen Pfiff aus, während Mulay und Pieroo sich in den Sand fallen ließen. Die anderen Krieger schlossen zu ihnen auf, Speere und Armbrüste in den Händen.
Jemand reichte Pieroo sein Schwert und Mulay seinen Knochenstab. Der Schamane nickte dankend.
Mehr als einhundert Männer und Frauen lagen bis an die Zähne bewaffnet im Sand. Die Düne verschaffte ihnen einen taktischen Vorteil, der entscheidend sein konnte, wenn es zu einem Kampf kam. Mulay betete zu den Feuergöttern, dass die Waffen der Fremden nicht so mächtig wie ihr Gefährt waren.
Das seltsame Schiff schob sich auf den Strand wie ein verendender Waal. Das Brummen wurde leiser und verstummte schließlich ganz. Mulay schätzte die Entfernung zum Schiff ab.
Es waren vielleicht zwanzig Meter, also noch in Reichweite der Bogenschützen, die bereits ihre Pfeile zurechtgelegt hatten und bei der geringsten Bedrohung schießen würden.
Angespannt beobachtete Mulay, wie sich eine Luke im Deck des Schiffs öffnete. Einen Moment geschah nichts, dann trat ein Mann mit langen weißen Haaren und braunem Fellumhang heraus. Er hielt einen merkwürdig aussehenden Stock in der Hand. An seiner Hüfte hing ein Schwert.
Eine zweite Person trat aus der Luke an Deck. Sie trug eine ähnliche Kleidung wie ihr Begleiter und war ebenfalls mit einem Schwert bewaffnet. Ihre dunklen Haare wehten im Wind.
»'s glaub isch nisch«, sagte Pieroo unvermittelt. Er nahm den Gesichtsschutz ab, stand auf
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