038 - Verbotene Sehnsucht
klang belustigt.
Rebecca setzte den Fuß vernehmlich auf dem Boden auf und warf ihrem Bruder einen finsteren Blick zu. „Danke. Vielen Dank!"
Mr. Hartley tat es mit einem Achselzucken ab und kam herbeigeschlendert. Wieder war er in unspektakuläres Braun und Schwarz gekleidet, doch der Bluterguss an seinem Kinn hatte sich von sattem Violett zu schillerndem Gelbgrün gefärbt, und unter den Augen hatte er dunkle Schatten.
Emeline betrachtete ihn argwöhnisch. Was trieb dieser Mensch eigentlich immer des Nachts? „Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, Mr. Hartley?"
„Allerdings", erwiderte er. „Sie könnten mich bei der Tanzstunde meiner Schwester zusehen lassen."
Rebecca räusperte sich, doch ein schüchternes Lächeln huschte über ihre Lippen.
Ganz offensichtlich freute sie sich über die Aufmerksamkeit ihres Bruders.
Nicht so Emeline. Schon allein die Anwesenheit dieses Mannes im Ballsaal beraubte sie ihrer Konzentration. „Wir sind sehr beschäftigt, Mr. Hartley. Es bleiben nur noch zwei Tage bis zu Rebeccas erstem Ball."
„Ah." Er verbeugte sich spöttisch. „Ich verstehe den Ernst der Lage."
„Dann ist ja gut."
„Ähem!" Die Tante räusperte sich mit einem schauderhaft knarrenden Laut in der Kehle. Sowohl Emeline als auch Mr. Hartley drehten sich zu ihr um. „Ich glaube, mir und dem Kind täte eine kleine Pause gut, um uns von den Anstrengungen zu erholen. Vielleicht ein kleiner Spaziergang im Garten? Kommen Sie, ma petite. Ich werde Ihnen zeigen, wie man in einem langweiligen Garten interessante Konversation betreibt." Sie streckte die Hand nach Rebecca aus.
„Oh, vielen Dank, Ma'am", erwiderte Rebecca artig, als sie der alten Dame folgte.
Emeline klopfte ungeduldig mit dem Fuß aufs Parkett, während sie wartete, dass ihre Tante und Rebecca sich entfernten. Dann fuhr sie zu Mr. Hartley herum. „Sie haben soeben unsere Lektion unterbrochen. Weshalb? Was wollen Sie hier?"
Er hob die Brauen und kam ihr so nah, dass sie seinen Atem auf ihrer Wange spürte.
„Warum regen Sie sich so auf?"
„Aufregen? Ich?" Sie wollte noch etwas sagen, schloss den Mund aber wieder, ehe sie meinte: „Ich rege mich nicht auf. Es ist nur so ..."
„Sie haben schlechte Laune." Er neigte leicht den Kopf und betrachtete sie mit gespitzten Lippen, wie man eine Frucht betrachtet, die nicht mehr ganz frisch ist.
„Sie haben ziemlich häufig schlechte Laune."
„Das stimmt nicht."
„Gestern waren Sie auch schlechter Laune."
„Aber ..."
„Sie waren schlechter Laune, als ich Ihnen in Mrs. Conrads Salon das erste Mal begegnet bin."
„Nein, ich war nicht..."
„Und wenngleich Ihre Laune nicht ausgesprochen schlecht war, als wir zum Tee kamen, so könnte man sie doch kaum als gut bezeichnet haben." Freundlich lächelnd sah er sie an. „Aber vielleicht trügt der Eindruck ja. Vielleicht sind Sie sonst eine wahre Frohnatur, und erst mein Auftauchen in Ihrem Leben hat Sie so verdrießlich werden lassen."
Ungläubig starrte sie ihn an. Ja, sie starrte tatsächlich, und der Mund stand ihr offen wie einer arglosen Debütantin. Wie konnte er es wagen? Niemand - aber wirklich niemand - sprach mit ihr in dieser Manier! Er hatte sich mittlerweile abgewandt und klimperte in höchst enervierender Weise auf dem Cembalo herum. Sie ertappte ihn dabei, wie er ihr einen verstohlenen, belustigten Blick zuwarf, sah, wie es verräterisch um seine Mundwinkel zuckte. Dann versenkte er sich wieder in die Betrachtung seiner unmusikalischen Finger, die das Cembalo traktierten.
Emeline holte tief Luft und strich ihre Röcke glatt. Conte-nance! Nicht umsonst war sie unzählige Male Ballkönigin gewesen. Sie wusste sich zu beherrschen.
„Mir war nicht bewusst, dass mein Ton so scharf ausgefallen ist, Mr. Hartley", begann sie und trat zu ihm. Die Augen hielt sie reuig gesenkt und bemühte sich um eine bekümmerte Miene - nicht unbedingt ein ihr vertrauter Ausdruck. „Hätte ich geahnt, wie sehr mein entschiedenes Auftreten Sie irritieren würde, wäre ich lieber tausende Tode gestorben, als mich derart ... undamenhaft aufzuführen. Bitte verzeihen Sie vielmals."
Sie wartete. Nun war er dran. Gewiss würde er vor Scham im Boden versinken, weil er eine Dame genötigt hatte, sich derart demütig zu entschuldigen. Vielleicht begänne er gar zu stottern. Nur mit Mühe konnte sie sich ein Grinsen verkneifen.
Doch er schwieg. Seine langen Finger malträtierten weiter die Tasten des Cembalos. Wenn er nicht bald damit
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