038 - Verbotene Sehnsucht
macht dir auch wirklich nichts aus?"
„Nur wenn du mir auf die Zehen trampelst", entgegnete er grinsend.
Emeline blinzelte irritiert. Mr. Hartley sah ausgesprochen gut aus, wenn er lächelte.
Warum war ihr das bislang nicht aufgefallen?
„Das Problem ist nur", fuhr er fort, „dass ich ebenso sehr der Nachhilfe bedarf wie du." Erwartungsvoll blickte er Emeline an.
Infam, absolut infam. Emeline nickte knapp und trat zu ihm, sodass sie und Rebecca nun zu beiden Seiten von Mr. Hartley in einer Reihe standen.
Sie reichte ihm die Hand. Er nahm sie bei den Fingerspitzen - ganz so, wie es sich gehörte, und doch fühlte seine Hand sich viel zu heiß auf der ihren an.
Emeline räusperte sich. Sie hob ihrer beider Hände auf Schulterhöhe und blickte geradeaus. „Gut." Sie setzte den rechten Fuß vor. „Bei drei fangen wir an. Eins und zwei und drei."
Die nächste Viertelstunde übten sie verschiedene Schrittfolgen ein. Manchmal tanzte Mr. Hartley mit seiner Schwester, manchmal mit ihr. Und obwohl Emeline es nicht einmal unter Folter zugegeben hätte, so amüsierte sie sich doch bestens. Es erstaunte sie, dass ein solch stattlicher Mann sich so anmutig und leichtfüßig bewegen konnte.
Irgendwann kam Rebecca aus dem Takt und geriet mit ihrem Bruder aneinander. Er fasste seine Schwester um die Taille, damit sie nicht stürzte. „Immer schön aufpassen, Becca, sonst legst du auch noch deinen Partner aufs Parkett."
„Siehst du? Ich kann das einfach nicht!", rief das Mädchen. „Das ist nicht fair! Du musstest früher nie so etwas tanzen, und trotzdem beherrschst du die Schritte besser als ich."
Emeline sah zwischen den beiden hin und her. „Wie hat Mr. Hartley denn früher getanzt?", fragte sie wider besseres Wissen.
„Schlecht", entgegnete er.
„Gejiggt hat er", kam es gleichzeitig von seiner Schwester.
„Gejiggt?" Emeline versuchte sich vorzustellen, wie der hochgewachsene Mr. Hartley bei einem dieser ländlichen Tänze munter auf und ab hüpfte.
„Bauern und Gesinde unseres Chateaus haben so etwas getanzt", bemerkte die Tante.
„Das würde ich gern mal sehen", meinte Emeline.
Mr. Hartley bedachte sie mit spöttischem Blick. Emeline lächelte unbeirrt zurück.
Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke, und sie wurde aus dem Ausdruck seiner braunen Augen nicht recht schlau.
„Er war unglaublich gut", sagte Rebecca, die sich so langsam für das Thema erwärmte. „Aber seit seine Knochen alt und steif sind, jiggt er auch nicht mehr."
Mr. Hartley wandte den Blick von Emeline und sah seine Schwester mit übertriebenem Vorwurf an. „Das nenne ich eine Herausforderung."
Er legte seinen Rock ab und warf sich in Pose, die Hände auf den Hüften, den Kopf hoch erhoben.
„Das ist nicht dein Ernst!", rief Rebecca lachend.
Er stieß einen theatralischen Seufzer aus. „Doch, wenn du den Takt schlägst."
Rebecca begann zu klatschen, und Mr. Hartley sprang. Emeline hatte schon einige Male Männer einen Jig tanzen sehen - feiernde Bauern etwa oder Matrosen auf Landgang. Gemeinhin zeichnete solches Getanze sich durch schwerfällige, unharmonische Bewegungen aus. Arme und Beine schlugen wild in alle Richtungen aus, Haare und Kleider flogen in die Luft wie bei einer schlecht geführten Marionette. Nicht so, als Mr. Hartley tanzte. Zunächst einmal war er sehr beherrscht, und seine Bewegungen waren präzise und durchdacht. Und er besaß Anmut. Es war unglaublich. Er sprang durch den Saal, stampfte mit den mokassinbeschuhten Füßen auf dem Parkett herum, und doch gelang es ihm, dabei wendig und anmutig zu wirken. Mit einem breiten Grinsen schaute er sie an, ein Ausdruck voller Freude, und seine kräftigen weißen Zähne blitzten im gebräunten Gesicht auf. Als sogar ihre Tante den Takt mitklatschte, stimmte auch Emeline mit ein.
Mit ein paar Sätzen war er bei ihnen und zog Rebecca mit in seinen wilden Tanz, drehte sie im Kreis herum, bis sie atemlos und lachend zurücktaumelte. Dann griff er nach Emeline. Ehe sie sich's versah, wurde sie von sicheren, starken Händen durch den Saal gewirbelt. Die spiegelnden Wände und die Gesichter ihrer Tante und Rebeccas flogen vorbei, und sie spürte ihr Herz so schnell schlagen, dass sie meinte, es würde ihr aus der Brust springen. Mr. Hartley fasste sie um die Taille und hob sie hoch. Lachend sah er zu ihr auf, und sie stellte fest, dass auch sie lachte.
Voller Freude lachte.
In dieser Nacht trug Sam Schwarz, um sich besser im Schatten der Häuser verstecken
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