038 - Verbotene Sehnsucht
war.
„Der letzte Stand war, dass Alistair Munroe wieder oben in Schottland ist. Er hat da ein riesiges Schloss, in dem der Wind aus allen Ecken pfeift, und soll sich nur selten sehen lassen."
„Wegen seiner Wunden?", fragte Sam vorsichtig. Sie bogen in den Durchgang ein, der zu dem Haus führte, in dem Allen ein Zimmer hatte. Vale hatte ihm noch nicht geantwortet. Sam drehte sich nach ihm um.
Aus Vales Augen starrten ihn die Dämonen der Vergangenheit an, und Sam hatte das ungute Gefühl, dass es bei ihm gewiss nicht anders war. „Sie haben ja selbst gesehen, was diese Wilden ihm angetan haben. Wollten Sie sich vielleicht mit solchen Narben sehen lassen?"
Sam wandte sich ab. Fast zwei Wochen hatte der Rettungstrupp gebraucht, um das Lager der Wyandot aufzuspüren, und während dieser zwei Wochen waren die gefangenen Soldaten gefoltert worden. Munroe hatte es besonders schlimm erwischt. Seine Hände ... Sam schob den Gedanken daran beiseite und lief weiter, immer ein wachsames Auge auf die finsteren Eingänge und dunklen Nischen gerichtet, an denen sie vorbeimussten. „Nein", sagte er schließlich.
Vale nickte. „Ich habe ihn seit Jahren nicht mehr gesehen."
„Trotzdem", meinte Sam. „Wir sollten ihm vielleicht mal schreiben."
„Ich habe es versucht. Er hat nie geantwortet." Vale holte ihn mit schnellen Schritten ein und war nun so dicht hinter Sam, dass dieser seinen Atem im Nacken spürte. „Warum schauen Sie sich die ganze Zeit so um?"
„Man ist mir neulich gefolgt", erwiderte Sam knapp.
„Wirklich?", fragte Vale gespannt. „Warum?"
„Ich weiß es nicht." Und das beunruhigte ihn sehr.
„Da scheinen Sie ja wirklich an etwas - oder an jemanden - gerührt zu haben. Mit wem hatten Sie denn schon gesprochen?"
Sam blieb vor einem niedrigen Türsturz stehen. „Hier wohnt Ned Allen."
Vale sah ihn nur an, hob die buschigen Brauen und rührte sich nicht.
„Bislang mit drei Soldaten", sagte Sam ungeduldig. „Barrows, Douglas und ..."
„Sagen mir alle nichts."
„Verständlich. Sie waren einfache Infanteristen und haben sich während des Massakers wahrscheinlich unter einen der Versorgungswagen geflüchtet. Sie schienen auch nichts zu wissen. Der dritte war als Pionier dabei ..."
„Einer der Burschen, die uns Schneisen in den Wald schlugen, damit wir überhaupt durchkamen?"
„Genau. Er hat mir ausführlich erzählt, wie er mit seiner Axt einen der angreifenden Indianer enthauptet hat, worauf er ziemlich stolz war. Viel mehr habe ich von ihm allerdings auch nicht erfahren. Mit Allen habe ich versucht zu reden, aber als ich ihn das erste Mal antraf, war er zu betrunken. Ich glaube nicht, dass Allen oder einer der drei anderen mir nachstellen lassen würden."
Vale lächelte. „Spannend."
„Wenn Sie meinen." Sam duckte sich und betrat das Haus. Drinnen war es feucht, kalt und düster. Er versuchte, sich an den Weg zu erinnern, den er bei seinem letzten Besuch genommen hatte, und tastete sich vorwärts.
Hinter sich hörte er Vale fluchen.
„Alles in Ordnung da hinten?", fragte Sam.
„Alles bestens. Ich habe mich nur gerade an der schönen Aussicht erfreut", entgegnete Vale.
Sam grinste. Sie stiegen einige steile Stiegen hinauf, und er ging voraus zu Allens Zimmer. Alles war, wie er es in Erinnerung hatte - ein winziges, stinkendes Loch. Ned Allen lag in der Ecke, ein Lumpenbündel, das man leicht hätte übersehen können.
Seufzend betrat Sam das Zimmer. Je näher sie Allen kamen, desto schlimmer wurde der Gestank.
„Herrje", murmelte Vale, der ihm gefolgt war und Allen mit der Stiefelspitze anstieß.
„Stockbesoffen."
„Das glaube ich nicht." Sam hockte sich neben den seitlich zusammengekauerten Mann und drehte ihn auf den Rücken. Allen fühlte sich starr und steif an, wie ein Stück Holz. Ein Messer ragte ihm aus der Brust - ein Messer mit einem beinernen Griff. „Er ist tot."
Vale hockte sich neben ihn und starrte den Toten an. „Verdammt."
„Könnte man so sagen." Rasch stand Sam auf und wischte sich die Hände an der Hose ab.
Auf einmal hielt er es hier nicht mehr aus - zu klein, zu eng, zu viel Gestank. Er drehte sich um, wäre beinah gestolpert und hastete aus dem Zimmer. Fast wäre er gerannt, beherrschte sich jedoch. Er stürzte die steilen Stiegen hinunter und hinaus ins Freie. Selbst der verdreckte Hof war noch besser als die kleine, nach Tod stinkende Kammer. Sam holte ein paar Mal tief Luft und versuchte die Übelkeit zu bannen, die in ihm tobte. Gerade
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