0382 - Claudines Schreckensnacht
Koffer nichts.
Er hatte das Amulett von der Silberkette losgehakt und hielt es jetzt in beiden Händen. Er versuchte die Spur aufzunehmen, die Claudine hinterlassen haben mußte. Er berührte die Scherben der zerstörten Straßenlaterne mit dem Amulett und ließ es sich auf die Restschwingungen der Magie einstellen.
Er fühlte das leichte Vibrieren, mit dem das geschah.
Sicherer wäre es gewesen, einen Blick in die Vergangenheit zu tun, um Claudine sehen zu können. Aber das bedeutete für Zamorra erhebliche Konzentration und auch einen Zeitaufwand, bis er in Halbtrance das Amulett dazu brachte, dem Befehl zu gehorchen. Es gelang nicht immer gleich schnell, und deshalb wollte er kein Risiko eingehen. Die Zeit brannte ihm auf den Nägeln, ohne daß er wußte, weshalb. Ein Gefühl sagte ihm, daß er sich beeilen mußte.
So versuchte er es auf die einfachere Art. Das Psi-Feld hatte diese Lampe zerstört, und es mußte eine schwache Spur hinterlassen haben. Und Zamorras Amulett fand diese Spur.
Kaum merklich drängte es dem Wald zu.
Zamorra knipste die Lampe an, die er aus dem Kofferraum des Mietwagens genommen hatte, und leuchtete damit den Weg vor sich aus. Er wollte nicht im Dunkeln stürzen und sich verletzen.
Er hielt Merlins Stern, das Amulett, locker in der linken Hand und achtete darauf, in welche Richtung es drängte. Es war wie ein leiser Windhauch. Zamorra setzte sich in Bewegung und gab dem schwachen Drang nach.
Das Amulett zeigte ihm den Weg.
Er führte in die Dunkelheit des Waldes hinein und den Berg hinauf, dorthin, wo die Bäume kleiner waren und dichter beieinander standen.
»Hoffentlich komme ich nicht zu spät…«
Denn er war sicher, daß sich Claudine in äußerster Gefahr befand!
***
»Claudine?« rief Norman Lafayette wieder. Unwillkürlich dämpfte er seine Stimme etwas, als befürchte er, die schlafenden Waldtiere aufzuschrecken.
Er sah den umgestürzten Baum. Er war in einer Höhe von etwa zwei Metern geknickt. Holzfasern am Stumpf ragten in die Höhe wie mahnende Finger. Um ein Haar wäre Norman gegen die langen Späne gestoßen, die aus dem am Boden liegenden Stammrest hervorsahen. Eine ungeheure Gewalt mußte den Baum abgebrochen haben wie ein Streichholz.
Aber von Claudine war nichts zu sehen.
Norman lauschte. Aber das einzige Rascheln, das er hörte, war das des Laubes im Wind. Nichts deutete darauf hin, daß sich ein Mensch in der Nähe bewegte. Wenn Claudine hier war, hielt sie sich gut versteckt und rührte sich nicht, um sich nicht durch ein Geräusch zu verraten.
»Claudine, mach keinen Unsinn. Ich will dir nur etwas sagen. Wo steckst du?«
Nichts.
»Antworte bitte! Ich habe einen Fehler gemacht, das weiß ich jetzt. Ich will dich nicht weiter bedrängen. Ich will dir nur helfen…« Er haspelte das herunter, worüber er auf dem Weg hierher nachgedacht hatte und was er ihr sagen wollte. Aber es kam keine Reaktion. Allmählich kam er zu dem Schluß, daß er wie ein dummer Schuljunge hier herumstand und Monologe hielt, ohne daß ihm jemand zuhörte. Claudine steckte ganz woanders.
»Na dann…«
Er versuchte den Rückweg zu finden. Einfach war es nicht, weil er nicht genau wußte, ob er den Baumstumpf einmal oder eineinhalbmal umrundet hatte, als er in der direkten Umgebung nach Claudine suchte. Außerdem war es verflixt dunkel. Aber schließlich fand er seine eigene Spur wieder, die Bresche, die er durchs Unterholz geschlagen hatte. Nach einer Weile kehrte er auf den schmalen, holperigen Weg zurück.
»Claudine…«
Immer noch nichts.
Sie hielt ihn zum Narren, oder sie war von Anfang an schnell davongelaufen. Norman kam zu der Erkenntnis, daß sie vielleicht gar nicht bemerkt hatte, wie der Baum hinter ihr zerstört wurde.
Er gab das Rufen schließlich auf. Wenn sie nicht antworten wollte… Er konnte und wollte sich schließlich nicht zum Narren machen. Entweder fand er sie oder er fand sie nicht. Aber mehr und mehr stieg Zorn in ihm auf. Weshalb war sie davongelaufen? Weshalb ließ sie sich nicht finden?
Und dann sah er den Schatten am Wegrand. Eine Gestalt, die sich an einen Baumstamm lehnte, halb zwischen den unteren Ästen verborgen. Er hätte sie fast übersehen. Aber durch eine Lücke im Blätterdach kam etwas Helligkeit, und als er zufällig einen Blick zur Seite warf, sah er sie.
»Claudine!«
Sie starrte ihn an.
»Was tust du hier?« fragte er. »Warum bist du hierher gelaufen? Du hättest dir den Hals brechen können! Warte, ich möchte mit dir
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