0382 - Claudines Schreckensnacht
eine Bodenunebenheit. Unsanft landete er auf dem Hosenboden. Aus der Froschperspektive heraus sah er Claudine an.
»Ich will dir helfen«, sagte er. »Mehr nicht. Ich möchte, daß wir Freunde bleiben können. Warum bist du hier?«
»Ja…«, sagte sie leise. »Ich glaube… vielleicht kannst du mir wirklich helfen. Willst du?«
»Das mußt du nicht fragen!« Er richtete sich langsam wieder auf und überlegte, wie ihre Stimme geklungen hatte. Es war, als spräche sie im Traum. Völlig geistesabwesend.
»Hast du begriffen, was ich sagte…?«
»Ja. Hilf mir«, erwiderte sie, wieder von weit her. Da sah er, daß ihre Füße den Boden nicht berührten. Claudine schwebte eine Handbreit über dem Boden in der Luft!
»Oh«, stieß er hervor.
Im gleichen Moment sank sie ab und schien von der Landung nicht einmal etwas zu bemerken.
Dieser verdammte Poltergeist, dachte Norman. Warum läßt er sie nicht endlich in Ruhe?
»Hast du ein Messer?« fragte Claudine.
Er schluckte. »Natürlich, das weißt du doch«, sagte er, griff in die Tasche und holte das Feuerzeug hervor. »Auch ’ne Zigarette? Darfst du denn über…« Er unterbrach sich.
»Ich meine ein Messer, nicht ein Feuerzeug«, verlangte Claudine.
»Ja, schon gut.« Er steckte das Feuerzeug wieder ein. Er hatte sie falsch verstanden. In seinem Freundeskreis fragte man nach Feuer und Zigarette, das war normal. Deshalb hatte er gar nicht richtig hingehört, sondern im Reflex nach dem Feuerzeug gegriffen. Natürlich war das Unsinn. Erstens war hier die Waldbrandgefahr zu groß, um zu rauchen, und zweitens war Claudine noch längst keine sechzehn. Und zum Nikotin verführen wollte er sie wirklich nicht.
»Entschuldige«, bat er. »Ich bin ein bißchen durcheinander. Warum bist du hierher gelaufen?«
Sie antwortete nicht, sondern streckte nur die Hand aus.
Norman zuckte mit den Schultern. »Ach so, das Messer. Warte.« Er kramte wieder in der Tasche. »Willst du mich damit jetzt ermorden, weil ich dir gefolgt bin?«
»Ich will dich nicht ermorden, Norman.«
Ein wenig wunderte er sich über ihr Verhalten. Bei ihrer letzten Begegnung hatte sie ihn beschimpft. War das vergessen! Oder war sie in so großer, seelischer Not, daß sie selbst den Teufel um Hilfe gebeten hätte, wenn er hier erschienen wäre?
Er zuckte leicht zusammen Wieso kam er ausgerechnet auf den Teufel? Er zog das Taschenmesser hervor und klappte die kurze Klinge auf. »Hier. Was hast du vor?«
Sie schloß die Augen.
Er war auf eine Menge gefaßt gewesen, aber nicht darauf, daß sie die Klinge über ihr linkes Handgelenk zog. Als er erschrocken aufschrie und vorwärts sprang, um sie daran zu hindern, fuhr sie mit einem Ruck herum und rannte den schmalen Weg weiter hinauf in die Dunkelheit.
»Du bist ja verrückt, Claudine!« schrie er entsetzt. »Warte! Bleib stehen! Was soll der Quatsch?«
Er stürzte, raffte sich wieder auf und lief noch schneller. Er mußte hinter ihr her! Er mußte sie aufhalten und die verletzte Ader abbinden. Dann mußte sie so schnell wie möglich zu einem Arzt!
Daß sie zum Selbstmord fähig war, damit hatte er weiß Gott nicht gerechnet.
»Claudine! Warte!«
Plötzlich war er wieder hinter ihr. Er bekam ihren Pullover zu fassen, krallte sich darin fest. Claudine wirbelte herum. Er sah ein helles Aufblitzen. Das Messer! Es stieß auf ihn zu! Er wich aus, stürzte und riß das Mädchen mit sich. Dann packte eine unheimliche Kraft zu und trennte sie. Der Poltergeist-Effekt! Er sah sie wie einen Schatten gegen einen Baum prallen und niedersinken. Er selbst wurde quer über den Weg gefegt. Er richtete sich mühsam wieder auf und rief ihren Namen. Claudine antwortete nicht. Sie mußte bewußtlos geworden sein. Er humpelte zu ihr und wand ihr das Taschenmesser aus der Hand, das sie immer noch umklammert hielt.
Fieberhaft suchte er nach einem Tuch, mit dem er ihren Unterarm abbinden konnte, und schnitt schließlich einen Streifen von seinem Hemd ab, nachdem er die Jacke aufgerissen hatte.
Und dann glaubte er in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen…
***
Der Teufel lachte.
Als Lucifuge Rofocale sah, wie das Mädchen das Messer benutzte, war er zufrieden. Ihre Seele war der Hölle geweiht. Sie verschmähte das von Gott geschenkte Leben, sie warf es fort und richtete eine Waffe gegen sich selbst. Die Voraussetzungen waren erfüllt.
Und Zamorra war abgelenkt worden und befand sich jetzt am Ende der falschen Spur!
Lucifuge Rofocale, irgendwo unangreifbar verborgen,
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