0386 - Götzentanz im Märchenpark
hatte den Schlüssel hervorgeholt. Er hielt ihn zwischen zwei Fingern so hoch, daß Suko ihn auch erkennen konnte. »Kein Trick«, sagte er beim Umdrehen, wandte Suko seinen breiten Rücken zu und bückte sich dem Schloß entgegen.
Lautlos glitt der Schlüssel hinein. Zweimal drehte Kamikaze ihn, richtete sich wieder auf und erklärte: »Es ist offen!«
»Dann geh vor!«
Der Killer zog die Tür auf. Sie quietschte ein wenig in den Angeln.
Suko wunderte sich darüber, daß Licht innerhalb des Ziegelsteinbaus brannte. Er hatte damit gerechnet, in einen düsteren Raum zu kommen.
Kamikaze ging. Noch versperrte sein breiter Rücken die Sicht des Chinesen auf die Gefangene. Das änderte sich, als Kamikaze einen Schritt zur Seite trat und mit der rechten Hand nach vorn deutete.
»Das ist sie!«
Suko war auf der Schwelle stehengeblieben. Er konnte geradewegs auf eine Mauer schauen.
Dort hatte man eine junge Blondine angekettet. Das war schlimm genug, doch am schrecklichsten empfand Suko das Aussehen dieser weiblichen Person. Sie besaß zwei Köpfe, vier Arme und vier Beine.
***
Homukulus!
Suko sprach den Namen nicht aus, er dachte ihn nur, und er dachte daran, daß dieses Wesen wieder zugeschlagen hatte. Gnadenlos, eiskalt hatte es seine verdammten Kräfte eingesetzt und aus einem Menschen ein Monstrum gemacht.
Furchtbar…
Über Sukos Rücken glitt ein Schauer. Er hatte mit allem gerechnet.
Mit einem heimtückischen Angriff des Killers, mit irgendwelchen mechanischen Fallen wie Luken oder Falltüren, aber nicht mit diesem schrecklichen Bild.
Dabei wußte er von Homunkulus, nur hatte er nicht mehr an das Menschlein gedacht, das praktisch als zweiter Begleiter des Akim Samaran angesehen werden konnte und wahrscheinlich selbständig gehandelt hatte, denn Samaran wäre nicht so dumm gewesen, seinen größten Trumpf aus der Hand zu geben.
Als Druckmittel gegen de Valois konnte er dessen Frau nicht mehr einsetzen. Sie war kein normaler Mensch mehr und würde auch nie mehr so werden wie früher.
Aber wußte de Valois dies?
Das war die Frage. Wahrscheinlich rechnete er damit, seine Frau zurückzubekommen, wenn es ihm gelang, die Bedingungen des anderen zu erfüllen.
Nun nicht mehr.
»War das abgemacht?« fragte Suko den Killer.
»Nein.«
»Dann hat Homunkulus selbständig gehandelt.«
Kamikaze lachte. »Genau. Und ich freue mich darüber. Ihm kann Akim nichts befehlen. Er macht, was er will. Er ist ein künstlicher Mensch, der glaubt, denken zu können.«
Suko hatte keine Lust, weiterhin über das Thema zu diskutieren.
Deshalb befahl er: »Geh tiefer in das Lager hinein, und stell dich vor die verdammte Wand.«
»Gern.«
Auch Suko folgte. Er allerdings blieb gut zwei Schritte hinter der Eingangstür stehen. Mit der linken Hand holte er das Walkie-talkie aus der Tasche. Er mußte John Sinclair unbedingt über die neue Lage informieren.
Während er auf den Kontakt wartete, schaute er sich die doppelköpfige Rita de Valois an.
Für sie war es am schlimmsten. Zwei Hände hatte sie frei. Sie schlugen manchmal gegeneinander, während sie ihre beiden Köpfe unkontrolliert bewegte, so daß diese hin und wieder zusammenstießen.
Die beiden Gesichter zeigten Anzeichen einer großen Verwirrung.
Sie waren verzerrt, Angst spiegelte sich in den Augen, der Atem floß laut über die Lippen.
Das Gerät sandte ein Signal aus, das auch eingefangen wurde. Jemand meldete sich.
»John?« fragte Suko.
»Hier spricht nicht John Sinclair, sondern Marsha Devine. Sind Sie es, Suko?«
»Ja, aber wieso kann ich John Sinclair nicht erreichen?«
»Wir mußten uns trennen. Die Situation hat es so ergeben.«
»Wo befindet sich John jetzt?«
»Wir sind beide in der Götzenhöhle«, quäkte es aus dem Lautsprecher zurück.
»Was geschieht dort?«
»Der Götzentanz. John ist auf die Galerie gegangen. Ich habe mich unter das Publikum gemischt. Außerdem befürchtet John, daß sich Akim Samaran bald zeigen wird.«
»Können Sie ihn warnen?«
»Über das Walkie…«
»Ja, versuchen Sie es. Und lassen Sie ihm eine Information zukommen. Ich habe die Gefangene gefunden…«
Marsha war nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. Diesmal jedoch jagte sie regelrecht hoch. »Was haben Sie da gesagt?« rief sie.
»Sie haben das Mädchen gefunden?«
»Genau.«
»Lebt sie?«
»Auch, nur…« Suko begann mit seinem Bericht. Ob Marsha ihm glaubte oder nicht, das war ihm egal. Er konnte einfach nicht verschweigen, in welch einem Zustand
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