039 - Der schwarze Abt
der das Bild der verstorbenen Lady hing, sah er den goldenen Rahmen aufblinken. Der Lichtstrahl traf die ringgeschmückte weiße Hand, die graziös herabhing, stieg höher und kam mit einem Ruck zum Stillstand.
Der Sergeant und Kirchenmusiksachverständige fluchte leise.
Dort, wo der Frauenkopf gewesen war, gähnte jetzt ein schwarzes Loch. Gesicht und Schultern waren aus dem Bild herausgeschnitten worden, und zwar, wie die rauhen, faserigen Leinwandkanten bewiesen, von einer ungeschickten Hand.
»Was halten Sie davon?« fragte Puttler.
»Weiß der Himmel, was es bedeuten soll! Ich will mich gleich draußen umschauen.«
»Warten Sie, Mr. Alford! Sie glauben doch wohl nicht, daß ich jetzt meine Stunden abschlafen kann? Ich begleite Sie. Nur schnell noch den Kaffee austrinken -.«
Durch die Flügeltür in Dicks Büro traten sie auf die Terrasse. Friedlich lag der Park im Mondlicht. Puttler ging ein paar Schritte voraus, kam wieder zurück und fragte:
»Riechen Sie etwas?«
Dick sog die kühle Morgenluft ein.
»Nein.«
Ohne weiteres führte ihn Puttler bis zum Ende des Westflügels. »Und jetzt?«
Dick schnupperte. Ein süßliches, exotisches Parfüm schwebte in der Luft, das ihm irgendwie vertraut war.
»Raucht jemand im Haus parfümierte Zigaretten, Mr. Alford?«
Dick überlief ein Frösteln.
»Harry!«
»Ihr Bruder? So. - Und wo bewahrt er sie auf?«
»In der Bibliothek.«
Der Detektiv suchte mit der Lampe den Boden ab. Es dauerte nicht lange, bis er sich bückte und eine halbgerauchte Zigarette mit Korkmundstück aufhob.
Sie gingen den gleichen Weg zurück, kamen an der offenen Fenstertür des Büros vorbei und begannen auf der entgegengesetzten Gebäudeseite zu suchen. Bald schon machte Puttler einen neuen Fund.
»Mr. Alford - wieder eine Leiter! Und ich kann beschwören, daß sie heute nacht nicht hier lag.«
Er prüfte jede Sprosse. Es war eine lange Leiter, nach oben spitz zulaufend, die, wie Dick Alford versicherte, für die äußere Reinigung der Fenster verwendet und in der Garage aufbewahrt wurde.
»Der Mann, der sie hierherschleppte, ist der gleiche, der die Lichtleitung zerstörte und ...«
Von weither, aus der Tiefe des Parks, erklang scharf befehlend eine Stimme:
»Halt! Wer da?«
»Das muß Renwick sein«, meinte Puttler. »Kommen Sie!«
Sie rannten durch den Park und stießen nach wenigen Minuten auf den Polizisten. Gesehen habe er nichts, berichtete er, hingegen Stimmen gehört.
»Zuerst das Lachen eines Mannes - ein schrilles, bösartiges Lachen.«
»Bekamen Sie auf Ihren Anruf Antwort?« erkundigte sich Puttler.
»Nein. Doch die Stimmen und Geräusche brachen ab. Etwas später vernahm ich eine Frauenstimme.«
»Frauenstimme?« zweifelte Dick. »Sind Sie ganz sicher?«
»Ganz sicher, Mr. Alford.«
»Aus welcher Richtung kam sie?«
Der Polizist deutete über die Lange Wiese, eine talartige Vertiefung, die parallel mit dem Hügelzug verlief, auf dem sich die Abtei befand. Links standen einige Häuschen, in denen Gutsleute wohnten - Feldhüter, Reitknechte und Kutscher. Von dort aus hatte übrigens der Jagdhüter Gill den Schwarzen Abt erblickt.
»Und klang es nicht so, als ob die Stimmen sich über die Anhöhe nach dem Fluß hin entfernten - oder nach den Ruinen, nicht wahr?« forschte Puttler.
»Tja ...« Der Mann war unschlüssig. »Möglich ist es, daß sie diesen Weg nahmen, doch sicher bin ich nicht.«
»Renwick muß sich geirrt haben«, sagte Dick, als sie in der betreffenden Richtung weiterschritten.
»Glauben Sie? Ich glaube viel eher, daß er recht hat.«
»Manchmal durchqueren auch Leute aus Chelfordbury, die ins Nachbardorf wollen, den Park, um den Umweg über die Landstraße zu vermeiden.« »Um drei Uhr morgens?«
»Vielleicht sind sie von einem Tanzvergnügen gekommen«, beharrte Dick, obwohl er selbst nicht an seinen Einwand glaubte.
»Kein Dörfler durchquert, bloß um ein kleines Stück abzuschneiden, einen Park, in dem es spukt und in dem zwei Nächte vorher ein Mann ermordet wurde«, erklärte der Detektiv.
Als sie nach erfolglosem Streifzug wieder im Schloß anlangten, legte sich Puttler endlich ein wenig zur Ruhe.
Auf einer seiner Runden kam Dick unter den Fenstern der jungen Damen vorbei und blickte hinauf. Der Morgenwind, der in den Baumkronen raschelte, bewegte auch den Fensterflügel des Zimmers, das Mary Wenner bewohnte. Langsam schwang er hin und her. Dick stieß leise einen Fluch aus, weil seine Anweisung mißachtet worden war.
Um
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