0391 - Der flüsternde Tod
die Deckung einer Hauswand zurück.
Rolly Watson hörte das dumpfe Flüstern, und dieser eine Satz hallte noch in seinem Kopf nach.
»Endlich habe ich dich, Polizist!«
Alle hatten sie den Beginn gehört, und wie von der Schnur gezogen, drehten die Bewohner von Devon die Köpfe. Rolly hatte zu Boden schauen wollen, es war ihm nicht möglich gewesen, er mußte einfach in die Gesichter hineinsehen, die ihm wie aus Knetgummi vorkamen, so aufgequollen und gleichzeitig bleich waren sie. Aber er las auch den Vorwurf darin. Sie warfen ihm allein durch ihre Blicke sein Nichteingreifen vor. Er hatte das Gefühl, daß jeder von ihnen über den Officer Bescheid wußte.
Und er spürte die Blicke wie eine Anklage. Sie waren bohrend, fordernd und verständnislos.
»Was ist denn?« Plötzlich konnte sich Watson nicht mehr halten.
Er hatte einfach etwas sagen müssen, und er krächzte die Worte hervor. »Verdammt, was habt ihr denn überhaupt, ihr widerlichen Typen? Los, redet, was soll ich denn?«
»Büßen!«
Diese Antwort hatte keiner der Zuschauer gegeben, sondern der Schädel. Und Rolly Watson hatte sie genau verstanden.
»Sagt ihr doch etwas!« forderte er. »Los, sagt etwas dazu! Ich will es hören. Eure Meinung. Ihr seid nicht besser als ich!« brüllte er und tippte sich gegen die Brust. »Um keinen Deut seid ihr besser. Aber mich habt ihr als Opfer auserwählt und wollt es mich auch spüren lassen, ihr verdammten…«
Sie schwiegen, und auch Suko hielt sich zurück. Diese Sache mußte Rolly Watson allein durchstehen.
Seine Hand sank nach unten. Gleichzeitig schob er den Kopf in den Nacken, weil er den Schädel anschauen wollte, in dessen Innern sich das Gesicht des Zigeunermädchens abzeichnete. Es waren feine, hübsche Züge, ein Mund, der lächelte, der aber dennoch alles Grausame aussprechen und Menschen unter Druck setzen konnte.
»Erkennst du mich?« Die Lippen flüsterten die Frage, und natürlich wußte der Polizist, was gemeint war.
»Du bist das Mädchen!«
»Ja, ich bin die, die du einmal aus dem Dorf gejagt hast!«
Plötzlich hob Watson die Arme. »Nein!« brüllte er, »das bin ich nicht! Verdammt, ich habe dich nicht aus Devon gejagt. Andere taten es. Die beiden Männer…«
»Ich weiß genau, wer es tat. Aber du hast dahinter gestanden und nicht eingegriffen. Du hättest kommen und mich beschützen müssen, als ich den Laden betrat. Diese Menschen sind der blanke Pöbel, der reine Mob, die haben sich in den letzten 100 Jahren nicht geändert. Sie verbrennen auch heute noch Menschen als Hexen, denn ich bin verbrannt worden. Zwei junge Männer nahmen mich an einen verfluchten Ort mit, ketteten mich dort an die Mauer und verbrannten mich. Und das in einer Zeit, die als so modern gelten will. Kannst du dir das vorstellen?«
»Nein, ja…!« keuchte Watson, der von keiner Seite her Hilfe bekam. »Nein, ich war es doch nicht!« Er holte keuchend Luft. »Verdammt, ich habe dich nicht verbrannt!«
»Du hast es auch nicht verhindert!«
»Wie denn?«
»Wußtest du Bescheid?«
Ihm lag eine Lüge auf der Zunge, was jeder sehen konnte, aber er brachte es nicht fertig, diesen als Richtung und Ankläger fungierenden unheimlichen Schädel anzulügen. Er fühlte sich durchschaut. Ihm war bekannt, daß der andere mehr wußte, als er vielleicht zugeben wollte, und so wich er einfach aus.
»Ich… ich weiß es nicht.«
»Du wußtest genau, was passierte…«
»Neiiin…! Glaub mir doch! Ich konnte es nicht wissen. Sie haben dich einfach mitgenommen. Okay, das wußte ich, genauso wie die anderen hier, die ebenfalls nicht eingriffen …«
»Stimmt!«
»Warum greifst du sie nicht an?«
»Vielleicht kommt das noch!«
Rolly Watson zitterte am gesamten Leib. Er wischte mit dem Hemdsärmel über seine Stirn und hörte die nächsten Worte. »Du bist der Polizist von Devon. Du trägst dafür die Verantwortung, daß hier Recht und Ordnung herrschen und jeder Mensch gleich behandelt wird, auch wenn er ein Zigeuner ist. Aber die Menschen hier machten einen Fehler. Sie suchten sich genau das falsche Opfer aus.« Der Mund öffnete sich weiter. Es sah so aus, als würde er etwas ausspucken wollen.
»Wieso das falsche?« fragte Rolly flüsternd.
Da lachte der Schädel. Es waren rauh klingende Laute, und auch das Gesicht des Mädchens verzog sich. »Ja, das falsche Opfer, denn ich bin Sarita, die Verfluchte oder magisch Beeinflußte. Ich stehe mit dem in unmittelbarer Verbindung, was von 150 Jahren hier geschehen
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