0392 - Der Rachedolch
murmelte Gryf. Andererseits respektierte er Zamorras Privat- oder Geschäftsleben und wollte wirklich nicht stören. Deshalb verzichtete er immer noch darauf, sich per zeitlosem Sprung direkt ins Haus zu verfügen. Er verzichtete auch auf ein telepathisches Abtasten. Damit hätte er ohnehin bei Zamorra nur dessen Anwesenheit feststellen können, weil sein Gedankeninhalt einer Abschirmung unterlag, und die Gedanken eines eventuellen Fremden, mit dem eine Geheimbesprechung lief, interessierten Gryf nicht.
Das Haus war restlos abgedunkelt. Die Fensterläden schienen absolut dicht zu sein.
Oder das Besprechungszimmer lag zur anderen Seite. So genau kannte Gryf sich nicht aus.
Er klingelte wieder. Einmal mußten Zamorra oder wenigstens Nicole ja doch die Geduld verlieren.
Da endlich sah Gryf Licht aufblitzen. An einem Eckfenster drangen schmale Lichtstreifen zwischen den Ritzen der Fensterläden hervor.
Aha, dachte der Druide. Man geruht endlich zu erwachen. Also doch keine Besprechung?
Im nächsten Moment fühlte er, daß er hier draußen nicht mehr allein war. Er wandte sich um und stand einem uniformierten Polizisten gegenüber.
»Was machen denn Sie hier, Freundchen?« fragte der Polizist. »Wollen wohl einbrechen, wie? Na, kommen Sie mal mit.«
Gryf schüttelte den Kopf. »Ich denke ja gar nicht dran«, sagte er. »Wie kommen Sie überhaupt hierher?«
Ihm fiel ein, daß die nächste Ortschaft ein paar Meilen entfernt war. Und der Polizist war mit Sicherheit nicht zu Fuß hergekommen. Wo aber war dann sein Dienstwagen? Und - warum war er hier?
Nun, gleich war Zamorra an der Tür, und dann sah alles ganz anders aus. Dann konnten sie sich diesen Polizisten zu zweit vornehmen, um nach seinen Beweggründen zu forschen.
Aber so weit kam es nicht.
Plötzlich flammte kaltes blaues Licht auf, das Gryf einhüllte.
Damit hatte er nicht gerechnet.
Er hatte wieder einmal großzügig darauf verzichtet, Gedanken zu lesen. Schließlich war er kein Schnüffler, und mit der Privatsphäre anderer wollte er sich nicht belasten. Es war ein Fehler gewesen.
Er konnte nicht mehr reagieren. Er schaffte nicht einmal mehr einen Not- sprung, sondern kippte einfach nach vorn weg. Der Polizist fing ihn auf.
Im nächsten Augenblick rollte eine schwarze Limousine um das Haus. Die Fondtür flog auf. Mit schier übermenschlicher Kraft schleuderte der Polizist Gryf in den Wagen und sprang selbst hinein. Der Wagen setzte sich sofort wieder in Bewegung. Der rund 200 PS starke Achtzylinder-Motor katapultierte den schwarzen Bentley vom HauS fort und über die Privatallee zur Verbindungsstraße.
Als die Haustür geöffnet wurde, bog der Wagen bereits ab…
***
Professor Zamorra hörte die Türklingel erst beim zweiten Mal. Aber er öffnete die Augen nicht.
Neben ihm regte sich Nicole. Sie richtete sich halb auf. Zamorra faßte nach ihr und zog sie wieder auf das Fell herunter.
Fell?
Er öffnete die Augen, erkannte seine Umgebung und lächelte. Da waren sie doch tatsächlich vor dem Kamin eingeschlafen! Das Feuer war niedergebrannt; nur noch ein wenig Glut knisterte. Zu Zamorras Erleichterung war es nicht kühler geworden, obgleich das Feuer nicht mehr so heiß loderte wie zu Anfang. Aber die Heizung hatte den Raum an sich inzwischen erwärmt; es ließ sich aushalten, ohne zu frieren.
Es ließ sich aushalten…
Die Türklingel konnte man ignorieren.
Nicole wollte sich Zamorras Griff entwenden. »Es klingelt, cherie…«
»Laß es klingeln«, sagte Zamorra undeutlich. »Es wird auch wieder aufhören.«
»Aber da will jemand etwas von uns…«
»Wer sollte etwas wollen? Vergiß es. Es wird ein Staubsaugervertreter sein, oder jemand, der uns ein Abonnement von etwa fünfunddreißig Wochenzeitungen andrehen möchte…«
»Aber um diese Zeit?« wandte Nicole ein. »Es ist Nacht.«
»Der Staubsaugerverteter oder Zeitungswerber wird hauptberuflich Vampir sein«, murmelte Zamorra. »Die arbeiten nur nachts.«
Er zog Nicole an sich und küßte sie, spürte ihre warme, weiche Haut an seiner… und war absolut nicht daran interessiert, sich von der Haustürklingel stören zu lassen. Sie waren nicht da, basta. Wer sollte es überhaupt sein? Wenn es wichtig war, würde man anrufen. Die nächste Ortschaft war weit entfernt…
Sein Unterbewußtsein rumorte dezent und versuchte ihm klar zu machen, daß er telefonisch gar nicht erreichbar war, weil er den Anrufbeantworter weder abgeschaltet noch abgehört hatte und jeder Anruf deshalb nicht
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