0393 - Staatsfeind nur für eine Nacht
in einen Sessel, angelte Handschellen aus dem Koffer und ließ sie um die Gelenke des Asiaten schnappen. Dann griff ich nach dem Telefon und rief das Office von James Garney an. Phil war am Apparat. Ich informierte ihn in wenigen Sätzen, bat ihn, einen Doc zu besorgen und sofort herunterzukommen. Dann wandte ich mich dem Asiaten zu.
»Ich habe jetzt Gelegenheit, mich vorzustellen. Mein Name ist Cotton, New Yorker FBI. Ich nehme Sie fest wegen Rauschgifthandels und Hausfriedensbruchs.«
Ich belehrte ihn mit der vorgeschriebenen Formel, dass alles, was er jetzt sagte, vor Gericht gegen ihn verwendet werden konnte.
»Wir hätten dich gleich erledigen sollen!«, knurrte der Gangster.
»Davon wäre Archie Long keineswegs erbaut gewesen. Sind deine anderen Kollegen jetzt bei Archie, um sich über mich zu erkundigen?«
Der Asiat, dessen Name mir Long Duck mit Yantse angegeben hatte, nickte. Er biss die Zähne zusammen und unterdrückte den Schmerz, den auch kleine Browningkugeln im Oberarm verursachen.
Ich zog die wattierte Jacke des Gangsters herunter, nahm ein scharfes Papiermesser aus dem Schreibsekretär und trennte das Hemd auf. Der Asiat sah an mir vorbei auf das bunte Muster der Gardine.
Ich ging ins Badezimmer, riss die Hausapotheke auf und angelte mir ein Verbandspäckchen heraus. Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, stockte mir der Atem. Eine Gänsehaut lief über meinen Rücken. Der Bursche stand auf dem Fenstersims und trat mit dem Fuß gegen die Scheibe.
Mit einem Satz war ich hinter ihm, riss ihn herunter und schleppte ihn zum Sessel zurück.
»Was du vorhattest, Yantse, war glatter Selbstmord. Es gibt keine Feuerleiter in der Nähe. Und einen Sturz aus dem sechzehnten Stock überlebt man nicht.« Yantse stierte vor sich hin, ohne zu antworten. Ich legte ihm einen Notverband an.
***
Als ich fertig war, kam Phil zur Tür herein. »Sorry, dass ich so spät komme«, sagte Phil, »aber als ich bereits auf der Schwelle stand, kam ein zweiter Anruf, auf den wir schon lange warten. Der Bursche hat sich wieder gemeldet. Aber wie siehst du aus, Jerry?«
Mein Freund strich um mich herum, als wäre ich eine neue Plastik im New Yorker Museum für moderne Kunst.
»Ich habe eine kleine Meinungsverschiedenheit gehabt mit einer Gang, der auch unser Besucher angehört. Die Burschen haben versucht, mich festzusetzen. Sie wollten Erkundigungen über mich einziehen, und ich nannte ihnen unsere Adresse. Hast du inzwischen einen Doc und einen Krankenwagen bestellt?«
»Den Doc ja aber keinen Krankenwagen.«
»Well, dann werde ich es tun. Dann kann ich mich wieder um den Erpresser kümmern.«
Ich gab der Zentrale den Auftrag, einen Krankenwagen zu bestellen und bat den Empfangschef, uns zu besuchen.
Nach wenigen Minuten klopfte es. Ich öffnete dem Empfangschef, der Mund und Nase aufriss, als er den Asiaten mit Handschellen dekoriert in einem Sessel hocken sah.
»Wie kam dieser Mann ins Hotel?«, fragte ich.
»Er meldete sich telefonisch an und verlangte ein Zimmer im sechsten Stock«, erklärte der Hotelangestellte. »Nach fünf Minuten kam er und bat um den Schlüssel. Wenig später kam er herunter, hat Sie beschrieben und gefragt, ob Sie hier wohnten und wo. Er sei ein Freund von Ihnen, Mister Bromfield.«
»Warum haben Sie mir das nicht vorhin gesagt?«
Der Empfangschef wurde sichtlich verlegen. »Vorhin«, begann er, »vorhin hatte ich zu viel mit Ihrem Aussehen zu tun…«
»Okay«, unterbrach ich ihn, »aber haben Sie keinen Verdacht geschöpft, als der Mann ohne Gepäck kam?«
Der Empfangschef dachte einige Sekunden nach, dann erwiderte er: »No, Mister Yantse trug einen Lederkoffer.«
»Welches Appartement hat er?«, fragte Phil.
»612«, erklärte der Hotelangestellte. Mein Freund angelte den Zimmerschlüssel aus Yantses Jackentasche und schoss wie eine Rakete zur Tür hinaus.
»Was befindet sich im Koffer?«, wandte ich mich an den Asiaten.
»Wäsche«, erklärte er.
Nach wenigen Minuten kam Phil zurück und stellte den Koffer auf den Couchtisch. Ich ließ die Schlösser aufschnappen.
Oben auf der Wäsche lag eine abgesägte Schrotflinte, wie sie von Banditen häufig benutzt wird. Ich war sehr vorsichtig an den Koffer herangegangen, weil er unter Umständen Sprengstoff enthalten konnte.
Aber außer einigen Marihuanazigaretten und der Waffe fand ich nur Wäsche. Ich überzeugte mich, dass der Koffer keinen doppelten Boden besaß.
***
Nachdem Yantse mit dem Krankenwagen ins Hospital gefahren
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