04 - Die Tote im Klosterbrunnen
sofort. In ihrem Kielwasser folgte ein schnittiges Kriegsschiff, an dessen Masten das Banner des Königs von Cashel wehte. Fidelma entfuhr ein Seufzer der Erleichterung. Das Warten hatte ein Ende, und zum ersten Mal seit Ross’ Abreise fühlte sie sich nicht mehr in Gefahr.
K APITEL 18
Sie waren zum Anlegesteg hinuntergegangen, um die Neuankömmlinge zu empfangen: Fidelma und Eadulf, Äbtissin Draigen und Schwester Lerben, die von Draigen – entgegen Fidelmas Rat – in ihrem Amt als rechtaire der Abtei bestätigt worden war. Sie sahen zu, wie das kleine Boot von Ross’ barc am Kai festmachte.
Ross wurde von einem großen, fast weißhaarigen Mann von imposanter Erscheinung begleitet. Trotz seines Alters sah er noch immer gut aus und strotzte nur so vor Energie. Über seinem Umhang trug er eine goldene Amtskette. Hätte ihn nicht schon seine auffällige Erscheinung aus der Masse hervorgehoben, so hätte man ihn spätestens an seiner Kette als hochrangige Persönlichkeit erkannt.
Ross strahlte vor Erleichterung, als er Fidelma unter den Wartenden erspähte. Er vergaß das Protokoll, überging die Äbtissin und begrüßte die dálaigh als erste.
»Gott sei Dank seid Ihr in Sicherheit und wohlauf, Schwester. Seit meiner Abreise habe ich nur schlaflose Nächte verbracht.« Bruder Eadulf begrüßte er mit einem kurzen Lächeln.
»Wir sind wohlauf und in Sicherheit, Ross«, erwiderte Fidelma seinen Gruß.
»Deo adjuvante!« murmelte der ältere Beamte. » Deo adjuvante! Euer Bruder würde mir niemals verzeihen, wenn Euch etwas zugestoßen wäre.«
Ross beantwortete die Frage, die er Fidelma von den Augen ablas.
»Das ist Beccan, oberster Brehon und Richter vom Stamm der Loígde.«
Der betagte Brehon streckte Fidelma beide Hände entgegen. Seine Miene war ernst, doch seine Augen funkelten humorvoll.
»Schwester Fidelma! Ich habe schon viel von Euch gehört. Man hat mich gebeten, an Stelle von Bran Finn, dem Häuptling der Loígde, hierherzukommen und darüber zu befinden, wer sich im Zusammenhang mit dieser Verschwörung welcher Verbrechen schuldig gemacht hat.«
Fidelma begrüßte den Brehon. Sie hatte schon damit gerechnet, daß Bran Finn seinen höchsten Beamten der Gerichtsbarkeit entsenden würde, um in diesem Fall als Richter zu fungieren. Dann stellte sie ihm Eadulf vor.
Beccan sprach mit großem Ernst: »Selbst wenn außer Eurer Gefangennahme kein weiteres Verbrechen begangen worden wäre, Bruder, hätten wir es mit einer schwerwiegenden Angelegenheit zu tun. In unserem Königreich sind wir der Ansicht, daß die Nichtbeachtung des Gastrechts gegenüber Fremden ein schlechtes Licht auf uns alle wirft, vom Oberkönig angefangen bis zum Geringsten in unserem Land. Deshalb möchte ich mich bei Euch in aller Form entschuldigen und verspreche, daß Ihr angemessen entschädigt werdet.«
»Die einzige Entschädigung, die ich verlange«, erwiderte Eadulf genauso ernst, »ist, daß die Gerechtigkeit obsiegt und die Wahrheit sich durchsetzt.«
»Wohl gesprochen, Sachse«, erwiderte Beccan, dessen Augen sich vor Staunen weiteten, da Eadulf die irische Sprache so fließend beherrschte. »Eurer Redegewandtheit nach zu urteilen müßt Ihr an unseren Hochschulen studiert haben. Ihr sprecht unsere Sprache ausgezeichnet.«
»Ja, ich habe einige Jahre in Durrow und Tuam Brecain verbracht«, bestätigte Eadulf.
Äbtissin Draigen war verärgert, daß niemand sie beachtete, und schaltete sich ein. Unter normalen Umständen hätte sie – so wollte es das Protokoll – den Brehon als erste begrüßt.
»Ich bin froh, daß Ihr gekommen seid, Beccan. Hier gibt es vieles aufzuklären. Bedauerlicherweise scheint die junge dálaigh , die uns Broce geschickt hat, dazu nicht in der Lage zu sein.«
Beccan hob fragend die Augenbrauen.
»Das ist die Äbtissin der Gemeinschaft«, stellte Fidelma Draigen vor, »und das ist ihre rechtaire. «
Der Brehon begrüßte sie höflich, ohne jedoch die Enttäuschung zu beachten, die sich auf Draigens Miene widerspiegelte, weil man sie Beccan erst vorstellen mußte.
»Kommt, Äbtissin, laßt uns zusammen mit Eurer jungen Verwalterin ein Stück gehen und dabei besprechen, was als nächstes zu tun ist.«
Er nickte Fidelma lächelnd zu und führte die Äbtissin und ihre Untergebene davon.
»Ein kluger Mann«, bemerkte Ross. »Er weiß, daß wir Zeit brauchen, um miteinander zu reden, ohne daß Draigen uns zuhört.« Kopfschüttelnd fuhr er fort: »Ehrlich, Fidelma, ich habe mir große
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