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04 - Die Tote im Klosterbrunnen

04 - Die Tote im Klosterbrunnen

Titel: 04 - Die Tote im Klosterbrunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Tremayne
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höchst selten. Fidelma wußte jedoch, daß Ultan von Armagh einen engeren Zusammenschluß mit Rom begünstigte und das Kirchenrecht unterstützte. Ultan selbst war zu einer umstrittenen Figur geworden: seit er vor sechs Jahren als Nachfolger Commenés zum Erzbischof ernannt wurde, hatte sich immer wieder erwiesen, daß er die Kirche in den fünf Königreichen nach dem Modell Roms zu zentralisieren wünschte.
    »Ich folge den Lehren Ultans und den Beweisen, die er vorgelegt hat und die deutlich zeigen, daß wir uns nicht nach den Gesetzen der Brehons richten sollten«, erklärte Draigen.
    »Beweise?«
    Die Äbtissin schob ihr ein kleines, handgeschriebenes Büchlein zu, das auf ihrem Tisch lag.
    Fidelma warf einen Blick darauf: »Die Bischöfe Patrick, Auxilnus und Isernius grüßen die Priester, Diakone und alle Geistlichen …«. Sie legte das Büchlein beiseite.
    »Es ist kein Geheimnis, daß Erzbischof Ultan dieses Dokument in Umlauf gebracht hat«, bemerkte sie. »Er behauptet, es handele sich um den Bericht über ein Konzil, an dem vor zweihundert Jahren all jene teilnahmen, die bei der Bekehrung Irlands zum Christentum eine führende Rolle spielten. Nach Ultans Darstellung bilden die fünfunddreißig Erlasse dieser angeblichen Synode die Grundlage für das Kirchenrecht. Der erste Erlaß besagt, daß jedes Mitglied der Kirche, das sich an die weltliche Gerichtsbarkeit von Éireann wendet, exkommuniziert werden muß.«
    Äbtissin Draigen musterte sie überrascht.
    »Ihr scheint das Werk gut zu kennen, Schwester Fidelma«, gab sie vorsichtig zu.
    Fidelma zuckte die Achseln.
    »Gut genug, um seine Echtheit zu bezweifeln. Wären in diesem Land vor zweihundert Jahren solche Regelungen getroffen worden, hätten wir zweifellos davon gewußt.«
    Draigen beugte sich verärgert vor.
    »Es liegt auf der Hand, daß der Bericht zurückgehalten wurde, und zwar von denen, die den Anspruch Roms auf die führende Rolle in der Kirche zurückweisen.«
    »Aber niemand hat je das Originalmanuskript zu sehen bekommen, nur die Kopien, die auf Anweisung Ultans angefertigt wurden.«
    »Ihr wagt es, Erzbischof Ultan in Frage zu stellen?«
    »Ich habe jedes Recht dazu. Dieses Buch enthält Erlasse, die zwar mit Rom übereinstimmen, dafür aber gegen die irischen Zivil- und Strafgesetze verstoßen.«
    »Ganz genau«, stimmte Draigen selbstgefällig zu. »Genau deshalb vertreten wir auch den Standpunkt, daß die Anhänger des Glaubens das Zivilrecht nicht beachten und sich dem Kirchenrecht unterwerfen sollten, dem einzigen Weg der Wahrheit. Wie schon die Gesetze des Heiligen Patrick besagen: kein Christ darf einen weltlichen Richter anrufen, sonst droht ihm die Exkommunikation.«
    Fidelma schaute sie belustigt an.
    »Dann ist mir der ganze Streit ein Rätsel, denn ist nicht überliefert, daß Patrick einen eigenen Brehon beschäftigte, Erc von Baile Shláine, der ihn in allen Rechtsstreitigkeiten vor den irischen Gerichten vertrat?«
    Äbtissin Draigen war erstaunt.
    »Ich habe keine …«
    »Noch verblüffender«, unterbrach sie Fidelma, ihren Vorteil nutzend, »ist Patricks schriftliche Bestätigung der Gesetze unseres Landes. Dieses Büchlein hier ist nichts weiter als eine Fälschung, die von Eurer pro-römischen Fraktion in Umlauf gebracht wurde. Schon allein deshalb, weil Patrick selbst, zusammen mit seinen beiden Gefährten, den Bischöfen Benignus und Cairenech, der Kommission aus neun hochangesehenen Persönlichkeiten angehörte, die auf Bitten des Oberkönigs Laoghaire zusammentrat und die Gesetze der Brehons studierte und überarbeitete, bevor sie in der neuen, lateinischen Schrift zu Papier gebracht wurden. Das war im Jahre des Herrn vierhundertachtundreißig. Ihr werdet sicher zugeben, Draigen, daß es für Patrick und seine Glaubensgefährten undenkbar gewesen wäre, über das irische Zivil- und Strafrecht zu beraten und es öffentlich zu unterstützen und gleichzeitig ein dem entgegenstehendes Regelwerk aufzustellen und dann noch – unter Androhung der Exkommunikation – zu verlangen, daß sich kein Mitglied der Kirche auf die Gesetze der Brehons beruft?«
    Eine Weile herrschte Schweigen. Man sah Äbtissin Draigen an, wie verzweifelt sie sich bemühte, logische Argumente vorzubringen, um das Gesagte zu widerlegen. Fidelma lächelte ihr freundlich in ihr hochrotes Gesicht und klopfte mit dem Zeigefinger auf Ultans Büchlein.
    »In den einleitenden Zeilen dieser Fälschung findet Ihr übrigens ein Körnchen Weisheit: Es ist

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