04 - Die Tote im Klosterbrunnen
Recht absprecht, solche Dinge zu lehren?«
»Paulus war nicht Christus«, entgegnete Fidelma ruhig. »In unserem Land sind Männer und Frauen vor Gott gleich.«
Bruder Febal antwortete in spöttischem Tonfall: »Der heilige Johannes Chrysostomus hat festgestellt, daß Frauen sich früher in der Lehre betätigen durften und dadurch alles verdarben. Das Christentum hat dem ein Ende bereitet. Augustinus von Hippo weist darauf hin, daß die Frau nicht als Ebenbild Gottes erschaffen wurde, der Mann dagegen voll und ganz dem Bilde Gottes entspricht.«
Fidelma sah Bruder Febal, dessen Gesicht vor Leidenschaft glühte, traurig an. Sie war schon vielen begegnet, die solche Argumente vorbrachten. Tatsächlich gab es in den fünf Königreichen Klöster, in denen die Anhänger des Neuen Glaubens die althergebrachten Gesetze in Frage stellten, ähnlich wie Draigen es tat.
»Soll das heißen, Bruder Febal«, fragte sie mit schneidender Stimme, »daß Ihr das Fénechus-Gesetz nicht anerkennt?«
Febals Augen wurden zu Schlitzen.
»Nur, sofern es mit den Grundlagen des Christentums übereinstimmt.«
»Und auf welche Grundlagen bezieht Ihr Euch?«
»Auf die Bußvorschriften des Finnian von Clonard und des Cummean Fata von Clonfert.«
Fidelma lächelte ironisch. Es war doch merkwürdig, daß Äbtissin Draigen nur wenige Stunden zuvor dieselben Bußvorschriften zitiert hatte – eine Reihe von kirchlichen Erlässen bezüglich der Leitung religiöser Gemeinschaften-, um ihre Sichtweise zu untermauern. Sonderbar, wie beide, Frau und Mann, so sehr sie sich auch auseinandergelebt hatten, in dieser Frage übereinstimmten. Zumindest kannte Fidelma jetzt die Gedanken, auf denen Bruder Febals Einstellungen basierten.
»Als Mann, der davon überzeugt ist, daß Frauen in der Kirche nichts zu suchen haben, hat es Euch doch sicherlich gestört, in einem conhospitae , einem gemischten Kloster, zu leben? Ich wundere mich immer noch, daß Ihr in eine solche Einrichtung eingetreten seid. Außerdem wundere ich mich, daß Ihr eine Heirat mit Draigen überhaupt in Betracht ziehen konntet.«
»Ich habe bereits gesagt, daß ich noch sehr jung war, als ich in die Abtei eintrat. Ich hatte die Bibel noch nicht vollständig gelesen und kannte die Werke von Finnian und Cummean noch nicht. Und anfangs war Draigen ja ein ruhiges Mädchen, willig und gehorsam. Ich wußte nicht, daß sie nur den rechten Augenblick abwartete, daß sie lernte, soviel sie konnte, und unterdessen auf ihre Chance lauerte.«
»Ihre Chance – war das ihre Ernennung zur rechtaire ? Habt Ihr damals den Entschluß gefaßt, die Ehe aufheben zu lassen?«
»Etwa ein Jahr nach unserer Heirat hörten wir auf, wie Mann und Frau zusammenzuleben. Jeder von uns ging seine eigenen Wege. Ich verabscheute sie, das will ich nicht leugnen. Ich war Pförtner, und als die alte rechtaire starb, hätte eigentlich ich ihre Nachfolge antreten sollen. Doch die betagte Äbtissin Marga hatte Draigen so sehr in ihr Herz geschlossen …«
»Wie alt war Draigen zu diesem Zeitpunkt?«
Febal runzelte die Stirn und versuchte, sich zu erinnern.
»Ich glaube, etwa Mitte zwanzig. Ja, so ungefähr in diesem Alter.«
»Und Äbtissin Marga machte Draigen zu ihrer Verwalterin?«
»Ja. Sie übertrug ihr das zweithöchste Amt in der Abtei. Und Draigen gefiel es natürlich, ihre Macht zu nutzen.«
»Inwiefern?«
»Sie begann, den Männern in der Gemeinschaft das Leben schwer zu machen und immer mehr Frauen in unser Kloster aufzunehmen. Sie bekämpfte jeden Glaubensbruder, der es zu etwas hätte bringen können. Sie schickte die Mönche auf weite Missionsreisen oder erlegte ihnen als Buße auf, Pilgerfahrten in andere Länder zu unternehmen. Bald lebten kaum noch Männer in der Abtei.«
»Wollt Ihr damit sagen, daß Draigen Männer nicht mochte?«
»Sie haßt alle Männer!« brauste Bruder Febal auf.
»Und Eure Einstellung zu Frauen«, brachte Fidelma ihm freundlich in Erinnerung, »rührt sie daher, wie Draigen Euch behandelt hat, oder hattet Ihr Eure Abneigung gegenüber Frauen in der Kirche schon vorher entwickelt?«
»Meine Einstellung basiert auf logischem Denken«, widersprach Febal ohne Bitterkeit. »Ich empfinde weder Zuneigung noch Abneigung gegenüber Frauen. Doch der Heilige Columban schrieb in einem seiner Gedichte:
Laßt jeden pflichtbewußten Menschen das tödlich Gift vermeiden,
Das die stolze Zunge einer bösen Frau verströmt.
Die Frau zerstörte die höchste Krone der Schöpfung
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