04 - komplett
angefangen, Überlegungen anzustellen.
Wollte sie Lord Carlton wirklich heiraten? Ja, aber sie wollte ihn nicht, wenn er sie nur nahm, damit sie ihm einen Erben für den Titel und das Gut schenkte. Der Gedanke war so schmerzhaft, dass sie fast in Tränen ausgebrochen wäre. Doch sie schluckte die Enttäuschung mühsam. Es war dumm von ihr gewesen, mehr zu erhoffen. Sie selbst hatte Vincent gesagt, sie wünschte eine Vernunftehe. Da konnte sie es ihm auch nicht übel nehmen, wenn er ihr eine anbot.
Seufzend warf sie sich auf die andere Seite und seufzte wieder. Dann erstarrte sie, als sie ein leises Wimmern hörte. Es kam von irgendwo ganz in der Nähe, und Cassie wusste sofort, was es war.
Schnell setzte sie sich auf und zündete die Kerze an. Dann stand sie auf und sah sich um. Wo versteckte sich das dumme Kind nur?
„Komm heraus, Tara“, sagte sie. „Ich weiß, du bist hier, also ist es sinnlos, dass du dich weiter vor mir versteckst. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin nicht böse auf dich.“
Einen Moment geschah nichts, doch dann bewegte sich die rüschenbesetzte Tagesdecke, und Tara tauchte unter dem Bett auf. Sie kam hervor und stand, den Kopf gesenkt, die Hände vor sich verschränkt, stumm da, bevor sie den Kopf hob und Cassie ihr tränenfeuchtes Gesicht zeigte.
„Ich wollte ihn nie ärgern“, sagte sie schnüffelnd und wischte sich mit der Hand über das Gesicht. „Ich wollte nur wissen, was er da tut, also hab ich die Brühe probiert, als er mal nicht hinguckte. Und ich dachte, er hat das Salz vergessen, und da hab ich es für ihn reingetan. Ich wollte wirklich nur helfen. Ehrlich, Miss Cassie, ich wollte ihn niemals wütend machen. Ich mag ihn. Er ist so klug, und ich mag seine komische Art.“
„Du magst Monsieur Marcel?“, fragte Cassie erstaunt. Alle anderen schienen den Mann zu fürchten oder für überheblich zu halten. „Es hat dir Freude gemacht, mit ihm zusammenzuarbeiten?“
„Oh ja, Miss!“ Taras Miene erhellte sich. „Ich bin mein Leben lang nicht so froh gewesen. Aber jetzt hasst er mich und will mich nicht mehr in seiner Küche haben.“
„Würdest du dich denn in Zukunft gut benehmen?“, fragte Cassie und sah sie nachdenklich an. Tara sah gesünder aus, ihre Augen strahlten, und ihr Haar war sauber und glänzte. Sie hatte sich sehr zu ihrem Vorteil verändert. „Ich werde morgen früh mit Monsieur Marcel sprechen und sehen, was getan werden kann.
Aber was mache ich inzwischen mit dir? Ich kann dich nicht nach unten schicken, bevor alles geklärt ist. Am besten behalte ich dich hier bei mir.“
„Ich kann auf dem Boden liegen, Miss, und ich werde Sie bestimmt nicht mehr stören.“
„Du hast mich nicht geweckt. Ich war ... ich dachte über etwas nach.“ Sie lächelte.
„Und du kannst nicht die ganze Nacht auf dem Boden liegen. Ich könnte vor Sorge nicht einschlafen. Komm mit mir ins Bett, du närrisches Kind! Und wage es ja nicht, mich zu treten oder zu schnarchen, weil ich dich sonst rausschubsen werde.“
Tara lachte. Miss Cassie machte natürlich nur Spaß. Tara fand, dass sie richtig anständig war. Fast so nett wie Seine Lordschaft!
Vincent saß währenddessen allein in seiner Bibliothek, ein Glas Brandy in der Hand, und blickte finster vor sich hin. Er hatte alles falsch gemacht und wusste nicht, was er tun sollte, um das Schlimmste zu verhindern.
Er könnte Cassie natürlich wenigstens jetzt die ganze Geschichte erzählen. Damit würde er ihr die Gelegenheit geben, sich von ihm zu trennen, bevor es zu spät war.
Selbstverständlich würde er die ganze Schuld auf sich nehmen. Alles war besser, als dass Cassie unglücklich wurde. Er konnte die Szene im Garten des Duke of Devonshire nicht vergessen.
Cassie fühlte sich eindeutig zu Major Saunders hingezogen. Vincent hatte sie zusammen lachen hören, während sie tanzten. Er erinnerte sich nicht, wann Cassie in seiner Gegenwart je so gelöst und fröhlich gewesen wäre. Warum hatte sie sich heimlich mit Saunders im Garten getroffen?
Konnte mehr daran sein? Hatten sie sich schon vor dem heutigen Abend gekannt?
Waren sie womöglich bereits vorher Liebhaber gewesen?
Zum ersten Mal in seinem Leben war er das Opfer heftiger Eifersucht. Als er Cassie mit Saunders gesehen hatte, war er einen Moment versucht gewesen, sie von ihm fortzuzerren. Diese Erfahrung war völlig neu für ihn. Noch nie war ihm eine Frau so wichtig gewesen, dass er bei dem Gedanken, sie zu verlieren, solche Qualen ausgestanden
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