04 - komplett
zu berauben. Ich kann den Verlust verschmerzen, wenn das Geld einem Mann zugutekommt, der es so verzweifelt braucht.“
Ein seltsamer Ausdruck lag in ihren Augen, und Sarah erkannte, dass sie an ihren Bruder denken musste. „Ja, jetzt, wo du es sagst, stimme ich dir zu, Cassie. Er muss das Geld dringend gebraucht haben. Trotzdem war es ein Schock.“
„Es tut mir leid, dass du dich erschrocken hast, Sarah.“
„Es geht mir schon besser.“ Sie hakte sich bei Cassie ein. „Wir hatten ja selbst schuld, weil wir ohne Begleitung ausgegangen sind. Wäre Lord Carlton oder auch nur eins der Mädchen bei uns gewesen, hätte der Mann es nicht gewagt, sich uns zu nähern.“
Cassie sah sie verblüfft an. „Du hast recht. Bisher waren wir nie allein. Heute hatte sich die einzige Gelegenheit ergeben. Vorher wäre es ihm nicht möglich gewesen, uns näher zu kommen. Selbst wenn er es gewollt hätte ...“
„Was meinst du?“, fragte Sarah verwundert. „Hast du diesen Mann schon einmal gesehen? Wo? Ist er dir gefolgt?“
„Ich glaube, ich habe ihn bereits zuvor gesehen ...“
„Oh, Cassie!“ Sarah sah unruhig über die Schulter. „Wir hätten Hilfe rufen sollen, einen Konstabler, irgendjemanden. Wenn es nun ein gemeiner Mörder ist?“
„Hätte er mir etwas antun wollen, hätte er es getan. Nein, Sarah, ich muss mich geirrt haben. Ein alter Soldat sieht aus wie der andere. Und jetzt, da der Krieg vorbei ist, wimmelt es in London von all den armen Männern, die um ein Stück Brot betteln müssen.“ Sie nahm Sarahs Arm und sah ihr ernst in die Augen. „Du wirst zu niemandem darüber sprechen, ja? Weder zu Lady Longbourne noch zu Lord Carlton.
Auch nicht zu Sir Harry.“
„Aber ...“
„Bitte, Sarah. Ich wäre dir dankbar, wenn du es für dich behalten könntest. Es ist nichts Schlimmes geschehen, also brauchen wir niemanden unnötig aufzuregen.“
„Wie du möchtest“, gab Sarah widerwillig nach. „Aber ich verstehe dich nicht.“
„Lass es uns einfach vergessen“, bat Cassie. „Und jetzt erzähl mir von Sir Harry.
Magst du ihn sehr gern? Würdest du ihn heiraten, wenn er um dich anhielte?“
8. KAPITEL
Es war der letzte Tag, bevor sie aufs Land zurückkehren würden. Lady Longbourne, Cassie und Sarah hatten den Morgen sehr angenehm mit den allerletzten Einkäufen verbracht, und Cassie hatte ein kleines mit silbernen Perlen besticktes Abendtäschchen für ihre zukünftige Schwiegermutter gekauft, als diese eine Weile abgelenkt war. Sie freute sich, dass sie sie mit dem Geschenk würde überraschen können. Plötzlich wurde sie angesprochen.
„Miss Thornton?“, hörte sie eine tiefe Männerstimme sagen. „Wie schön, Sie zu treffen. Ich glaubte, Sie hätten die Stadt schon verlassen.“
„Oh. Nein, erst morgen“, antwortete sie und errötete unwillkürlich, als sie sah, wer es war. „Ich hoffe, Sie haben Ihre Einladung zu unserer Hochzeit erhalten, Major Saunders?“
„Ja, danke. Ich überlegte nur ...wissen Sie schon, wer Sie in der Kirche dem Bräutigam übergeben wird, Miss Thornton? Falls nicht, hoffe ich sehr, es ist nicht anmaßend von mir, Ihnen meine Dienste anzubieten. Als Jacks Freund.“
Cassie errötete noch heftiger. Ihr kam in den Sinn, dass sie vielleicht Kendal bitten sollte, aber bis zu diesem Moment hatte sie keinen Gedanken daran verschwendet.
„Es ist ganz und gar nicht anmaßend“, versicherte sie ihm. „Ich wäre vielmehr sehr dankbar, Major.“
„Dann treffe ich einen oder zwei Tage früher ein“, schlug er gleich vor. „Ich habe Freunde in der Gegend, bei denen ich wohnen kann. Dann schaue ich bei Ihnen vorbei, und wir besprechen alles Nähere. Es wird mir eine große Ehre sein, Ihnen dienlich sein zu können, Miss Thornton.“
„Sie sind herzlich willkommen.“
Cassie gab ihm die Hand und senkte verlegen den Blick, als er ihre Finger an die Lippen hielt. Der glühende Ausdruck in seinen Augen war nicht misszuverstehen. Der Major machte kein Hehl daraus, wie sehr sie ihm gefiel.
„Wer war jener Herr, meine Liebe?“, fragte Lady Longbourne sie gleich danach.
„Major Saunders, ein Freund von Jack. Er hat mir angeboten, mich dem Bräutigam zu übergeben. War das nicht freundlich von ihm? Er sagte, er kommt kurz vor der Hochzeit, um alles Nähere mit uns zu besprechen.“
„Ja, sehr freundlich“, meinte Lady Longbourne ohne besondere Begeisterung. „Wenn du jedoch vorher daran gedacht hättest, hättest du auch Harry fragen können.“
„Aber
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