04 - Mein ist die Rache
sich selbst. Schließlich sagte er nur: »Es ist wahrscheinlich nicht das, was Sie glauben.«
Cotter strich mit zwei Fingern den Türpfosten hinunter, als prüfe er ihn auf Staub. Er nickte, aber überzeugt war er offensichtlich nicht.
St. James griff nach seinen Krücken und stand vom Bett auf. Er ging durch das Zimmer und hoffte, Cotter würde das als Zeichen verstehen, daß die Diskussion beendet war.
»Deb hat sich eine Wohnung in Paddington genommen. Hat sie Ihnen das erzählt? Sie läßt sich von Lord Asherton aushalten wie irgendein Flittchen.«
»Ganz sicher nicht«, entgegnete St. James, während er den Gürtel um seinen Morgenrock knotete.
»Woher hat sie dann das Geld?« fragte Cotter. »Wer bezahlt die Wohnung, wenn nicht er?«
St. James ging ins Badezimmer. Er drehte die Wasserhähne zu und überlegte, wie er dem Gespräch ein Ende bereiten könnte.
»Dann müssen Sie mit ihr sprechen, Cotter, wenn Sie das wirklich glauben. Verschaffen Sie sich Klarheit.«
»Wenn ich das glaube? Sie glauben es doch auch, Sie brauchen es gar nicht zu bestreiten. Ich seh's Ihnen an.« Cotter kam in Fahrt. »Ich habe versucht, mit dem Kind zu reden. Aber es kam nichts dabei raus. Sie zog gestern wieder mit ihm ab, ehe ich überhaupt eine Gelegenheit fand, mit ihr zu sprechen. Und heute morgen ist sie auch schon wieder weg.«
»Schon? Mit Tommy?«
»Nein. Allein. Nach Paddington.«
»Dann fahren Sie zu ihr. Sprechen Sie mit ihr. Sie freut sich vielleicht über eine Gelegenheit, mit Ihnen allein sein zu können.«
Cotter ging an ihm vorbei und begann mit übertriebener Sorgfalt, das Rasierzeug bereitzulegen. St. James beobachtete ihn argwöhnisch; er ahnte, daß das Schlimmste noch bevorstand.
»Ja, ein richtiges, handfestes Gespräch. Genau das hab' ich mir auch gedacht. Aber ich bin nicht der Richtige. Als Vater hat man nicht genug Abstand. Sie wissen, was ich meine.«
Er wußte es nur zu gut. »Sie wollen doch nicht etwa vorschlagen ...«
»Deb hat Sie sehr gern. Schon immer.« Cotters Miene verriet die Herausforderung hinter seinen Worten. Er scheute auch eine kleine emotionale Erpressung nicht, wenn sie den Weg freimachte, den er für den richtigen hielt.
»Wenn Sie Deb nur zur Vorsicht mahnen würden. Mehr verlange ich gar nicht.«
Zur Vorsicht mahnen? Wie würde das denn laufen? Laß die Finger von Tommy, Deborah. Sonst heiratet er dich am Ende noch. Ausgeschlossen.
»Nur ein Wort«, insistierte Cotter. »Sie hat Vertrauen zu Ihnen. Genau wie ich.«
St. James unterdrückte einen Seufzer. Wäre nur nicht Cotters unerschütterliche Loyalität in all den Jahren seiner Krankheit gewesen! Stünde er nur nicht so tief in Cotters Schuld. Der Tag der Abrechnung kommt eben immer.
»Na gut«, sagte St. James. »Vielleicht schaffe ich es noch heute irgendwann, wenn Sie ihre Adresse haben.«
»Die hab' ich«, antwortete Cotter. »Und Sie werden sehen, Deb wird gern auf Sie hören.«
Ganz bestimmt, dachte St. James mit grimmigem Spott.
Das Haus, in dem Deborah eine Wohnung gemietet hatte, trug den Namen Shrewsbury Court Apartments. St. James fand es ohne große Mühe in Sussex Gardens, ein hohes Gebäude mit einer fleckenlosen grauen Steinfassade, zwischen zwei ziemlich schäbigen Pensionen eingezwängt, vorn durch ein Eisengitter von der Straße abgezäunt.
St. James ging den schmalen Betonweg entlang zur Tür und drückte auf den Klingelknopf neben dem Namen Cotter. Der elektrische Türöffner summte, und er trat in ein kleines Foyer mit schwarz-weiß gefliestem Boden. Es war blitzsauber, und ein schwacher Geruch nach Desinfektionsmitteln verhieß, daß es auch so bleiben würde. Nicht weit vom Aufzug war eine Tür mit einem diskreten Schild, auf dem concierge stand - als wolle man durch das französische Wort auf die Vornehmheit des Hauses hinweisen.
Deborahs Wohnung war in der obersten Etage. Im Aufzug wurde St. James noch einmal mit aller Klarheit bewußt, wie absurd die Situation war, in die Cotter ihn gebracht hatte. Deborah war jetzt eine erwachsene Frau. Sie würde sich keine Einmischung in ihr Leben bieten lassen. Am wenigsten von ihm.
Sie öffnete sofort auf sein Klopfen, als hätte sie den ganzen Nachmittag nichts anderes getan, als auf sein Kommen zu warten. Freude schlug jedoch augenblicklich in Überraschung um, als sie ihn sah, und erst nach einem kurzen Zögern trat sie von der Tür zurück, um ihn einzulassen.
»Simon! Ich hatte ja keine Ahnung ...« Sie bot ihm die Hand, schien es sich
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