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04 - Mein ist die Rache

04 - Mein ist die Rache

Titel: 04 - Mein ist die Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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warum es gekommen war, daß Zeit und Umstände sich plötzlich gedreht hatten und die alte Zuneigung ihrer Kindheit wieder hatte aufblühen können, während sie im Labor miteinander gesprochen hatten. Sie war einfach glücklich, daß es geschehen war, und dankbar für die sich dadurch eröffnende Möglichkeit, Groll und Bitterkeit zwischen ihnen endlich zu überwinden.
    Es war richtig von ihr gewesen, ihrem Instinkt zu folgen und nach Chelsea zu kommen, um an diesen! Abend bei Simon sein zu können. Sie war glücklich gewesen zu sehen, wie sein Gesicht sich in dem Moment verändert hatte, als er die Gewißheit erhalten hatte, daß seine Schwester schuldlos war. Sie war ohne alle Befangenheit mit ihm in sein Zimmer gegangen und hatte lachend und schwatzend dabeigestanden, während er den Film herausgekramt hatte. Sie waren wieder Freunde, die sich einander mitteilten, die einander zuhörten und debattierten.
    Die Freude am Gespräch hatte ihre Beziehung vor ihrem dreijährigen Aufenthalt in Amerika gekennzeichnet. Und die Minuten im Labor und später in seinem Zimmer hatten ihr die Erinnerung an diese Freude in aller Lebhaftigkeit zurückgebracht, wenn auch nicht die volle Intensität der Freude selbst.
    Er hatte sie getröstet, wenn sie traurig war, Enttäuschungen gelindert, mit ihr gelesen und mit ihr gesprochen, er hatte sie aufwachsen sehen. Er hatte sie von ihren schlimmsten Seiten erlebt - er kannte ihre Wutanfälle, ihren hartnäckigen Stolz, ihre Unfähigkeit, sich geschlagen zu geben, den Anspruch auf Perfektion, den sie sich auferlegte, ihre Schwierigkeit, den Schwächen anderer Verständnis entgegenzubringen. Ob er geraten, belehrt, gewarnt oder gemahnt hatte, er hatte sie stets akzeptiert, wie sie war.
    Er hatte ihr geholfen, erwachsen zu werden, er hatte sie ermutigt und gefördert, und er hatte sie losgelassen, als es Zeit für sie gewesen war, sich zu lösen. Aber gerade seine Bereitschaft, sie freizugeben und in ihr eigenes Leben zu entlassen, hatte ihre Beziehung tief erschüttert und sie selbst unheilbar verletzt. Das beharrliche Schweigen, mit dem er die dreijährige Trennung hingenommen hatte, hatte in ihr den bitteren Wunsch entstehen lassen, ihm weh zu tun. Und es war ihr gelungen. Sie hatte sich gerächt, und ihre Rache war zunächst ungeheuer befriedigend gewesen. Jetzt jedoch erkannte sie, daß sie bestenfalls einen Pyrrhussieg errungen hatte und alles, was sie Simon angetan hatte, auf sie zurückschlug, sie selbst verwundete.
    Sie wünschte sich die alte Unbefangenheit im Umgang mit ihm zurück, sie wünschte sich, wieder die sein zu können, die sie früher für ihn gewesen war, seine Schwester, seine Kameradin, seine Freundin. Mehr wollte sie nicht. Den unerfüllt gebliebenen Wunsch, von ihm als Frau geliebt zu werden, um die Gewißheit zu erhalten, daß er sie wahrhaft begehrte, diesen Wunsch hatte sie überwunden.
    Er war untergegangen im Feuer ihrer Liebe zu Tommy. Und Tommy würde ihr jetzt den Mut verleihen, offen und ehrlich zu sein. Während sie die Negative ans Licht hielt, um die Aufnahmen von Cambreys Haus herauszusuchen, sah sie auch die Bilder von Lynley, wie er sich in gutmütiger Bereitwilligkeit mit der Laienspielgruppe von Nanrunnel der Kamera gestellt hatte. Dankbarkeit und Liebe stiegen in ihr bei der Betrachtung seines Bildes auf. Sie wußte, daß sie zu ihm gehörte, daß er ihre Zukunft war. Aber um sich frei zu ihm bekennen zu können, mußte sie erst die Vergangenheit bereinigen.
    Sie ging daran, die Aufnahmen zu vergrößern, die St. James in Cambreys Häuschen gemacht hatte. In Gedanken war sie die ganze Zeit bei dem Gespräch mit ihm, bei den Worten, die sie ihm sagen würde, wie sie sie ihm sagen würde, und bei der Frage, ob ihre Erklärung und Entschuldigung ausreichen würden, die Entfremdung zu überwinden.
    Es war fast Mitternacht, als sie mit ihrer Arbeit in der Dunkelkammer fertig war. Sie schaltete die Lichter aus, nahm die Bilder und machte sich auf die Suche nach St. James.

    Er hörte sie auf der Treppe, noch ehe er sie sah. Auf seinem Bett hatte er alle Unterlagen und Dokumente ausgebreitet, die irgendwie mit dem Fall zu tun hatten. Jedes einzelne Papier untersuchte er, um festzustellen, welches dazu dienen konnte, nicht nur seine Schwester, sondern auch Peter Lynley und John Penellin zu entlasten. Ein heller Lichtfleck in der Tür riß ihn aus seinen Betrachtungen. Es war Deborahs weiße Bluse, die sich gegen den dunklen Korridor abhob.
    Er

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