04 - Mein ist die Rache
»Deborah.«
»Ja?«
Sie klang ruhig. Die Fülle ihres lockigen Haars verbarg ihm ihr Gesicht. Sie machte eine rasche Bewegung, und er glaubte, sie wolle aufstehen und gehen. Aber dann hörte er, wie sie erstickt Atem holte, und erkannte überrascht, daß sie mit den Tränen kämpfte.
Er berührte ihr Haar, so zaghaft, daß sie es unmöglich spüren konnte. »Was ist denn?«
»Nichts.«
»Deborah ...«
»Wir waren doch Freunde«, flüsterte sie. »Du und ich. Wir waren Freunde. Das wollte ich wiederhaben. Ich dachte, wenn ich heute abend mit dir spräche ... aber es ist weg. Und ich ... es tut so weh. Wenn ich dich sehe, wenn ich mit dir spreche, fühle ich mich wie zerrissen. Ich halte das nicht mehr aus.«
Ihre Stimme brach. Ohne zu überlegen, nahm er sie in den Arm. Es spielte keine Rolle, was er sagte. Ob Wahrheit oder Lüge, es machte keinen Unterschied. Er mußte etwas sagen, um ihren Schmerz zu lindern.
»Wir werden das alles überstehen, Deborah. Wir werden einen Weg zurück finden. Alles wird wieder so werden, wie es war. Weine nicht.« Ungeschickt küßte er sie auf die Schläfe. Sie drehte sich in seinen Armen herum. Er hielt sie fest, streichelte ihr Haar, wiegte sie, flüsterte ihren Namen. Auf einmal fühlte er, sich von Frieden durchflutet. »Es spielt keine Rolle«, sagte er leise. »Wir werden immer Freunde sein. Ich verspreche es dir.«
Sie schlang die Arme um ihn. Er fühlte den weichen Druck ihres Busens an seiner Brust. Er spürte den Schlag ihres Herzens und das Hämmern seines eigenen und erkannte, daß er sie wieder belogen hatte. Sie würden niemals Freunde sein. Freundschaft war unmöglich zwischen ihnen, wenn eine so unschuldige Geste - ihre Umarmung - seinen ganzen Körper entzünden konnte.
Ermahnungen schossen ihm durch den Kopf. Sie gehört Lynley. Du hast sie schon genug verletzt. Du verrätst deinen besten Freund. Es gab Grenzen zwischen ihnen, die nicht überschritten werden durften. Er mußte sie akzeptieren. Wir sind nicht dazu bestimmt, glücklich zu werden. Er befahl sich, sie loszulassen, und bewegte sich doch nicht. Nur einen Moment lang sie so in den Armen halten, ihre Nähe fühlen, den Duft ihrer Haut atmen. Das war schon genug.
Er berührte ihre Wange, ihre Stirn, zeichnete die Konturen ihrer Lippen nach. Sie flüsterte seinen Namen, und das eine Wort besiegte endlich die Angst. Er fragte sich, wie er je davor hatte Angst haben können, sich in der Liebe dieser Frau zu verlieren. Es war eine Form der Erfüllung. Er küßte sie.
Nichts existierte, außer in seinen Armen zu sein. Nichts zählte außer der Wärme seines Mundes. Es war, als hätte nur dieser eine Augenblick Gültigkeit.
Er murmelte ihren Namen, und ein Strom erfaßte sie beide, der aus der Quelle des Begehrens Kraft schöpfte. Er riß jede Überzeugung, jeden Vorsatz mit sich in der Gewißheit, daß sie ihn begehrte. Sie sagte sich, daß das mit der Deborah, die zu Tommy gehörte, nichts zu tun hatte.
»Mein Liebes«, flüsterte er. »Ohne dich -«
Sie holte sich wieder seinen Mund. Sie biß zärtlich in seine Lippe und spürte, wie sie sich zu einem Lächeln verzog. Sie wollte keine Worte. Sie wollte nur seinen Mund an ihrem Hals; seine Hände auf ihren Brüsten, an ihrer Taille, auf ihrer Haut. Sie spürte, wie er den Stoff ihres Morgenmantels über die Schultern gleiten ließ, ihren Armen durch die dünnen Träger des Nachthemds half. Sie stand auf. Das Nachthemd glitt zu Boden. Sie fühlte seine Hand auf ihrem Schenkel.
»Deborah!«
Wortlos neigte sie sich zu ihm, küßte ihn, ließ sich von ihm hinunterziehen, hörte ihr Seufzen der Wonne, als sein Mund ihre Brust fand.
Sie begann ihn zu liebkosen. Sie begann ihn auszuziehen.
»Ich begehre dich«, flüsterte er. »Deborah. Sieh mich an.«
Sie konnte nicht. Sie sah den Schimmer der Kerzen, den Kaminsims, die Bücherregale, das Blitzen der Messinglampe auf seinem Schreibtisch. Aber nicht seine Augen, nicht sein Gesicht, nicht die Form seines Mundes.
Sie nahm seinen Kuß entgegen. Sie erwiderte seine Zärtlichkeiten. Aber sie sah ihn nicht an.
»Ich liebe dich«, flüsterte er.
Drei Jahre. Sie wartete auf das überschäumende Gefühl des Triumphs, aber es kam nicht. Eine der Kerzen begann zu flackern und zu tropfen und erlosch zischend. Vom verbrannten Docht stieg ein Rauchfaden auf, dessen Geruch scharf und beißend war. St. James drehte sich danach um.
Deborah beobachtete ihn. Das Licht der einen Kerze, die noch brannte, spielte wie
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