04 - Mein ist die Rache
vereinbart, daß du dort bleibst.«
Lynley wußte, daß sein Ton kalt und, unfreundlich war, aber der Anblick seines Bruders hatte ihn erschreckt. Peter war mager wie ein Skelett. Seine Augen wirkten gelb. Die Haut um seine Nase war wund und schorfig.
Peter zuckte mit trotziger Miene die Achseln. »Mensch, es ist doch nur ein Besuch. Ich will ja gar nicht bleiben. Ich geh' wieder zurück. In Ordnung?«
»Und was willst du hier? Und erzähl mir jetzt nichts vom Sonnetanken, das nehme ich dir nämlich nicht ab.«
»Es ist mir ziemlich egal, was du mir abnimmst und was nicht. Aber überleg doch mal, was für ein reizender Zufall es ist, daß ich gerade heute gekommen bin, Tommy. Wenn ich nicht ganz unerwartet hier aufgekreuzt wäre, hätte ich sämtliche Festivitäten glatt verpaßt. Oder wolltest du das vielleicht? Wolltest du mich nicht dabei haben, damit deine hübsche Rothaarige nicht gleich alle häßlichen Familiengeheimnisse auf einmal erfährt?«
Lynley ging mit großen Schritten durch das Zimmer und riß seinen Bruder aus der Fensternische in die Höhe.
»Ich frage dich noch einmal, Peter: Was willst du hier?«
Peter schüttelte ihn ab. »Ich hab's geschmissen, okay? Das wolltest du doch hören, oder? Ich bin ausgestiegen.«
»Bist du eigentlich völlig verrückt geworden? Und wo wohnst du?«
»Ich hab' in London eine eigene Bude. Keine Angst, ich hab' nicht vor, dich um Geld anzuhauen. Ich hab' selbst genug.« Er drängte sich an Lynley vorbei und ging zu dem alten Broadwood-Klavier. Mit einem Finger klimperte er auf den Tasten einige schiefe Töne.
»So ein Quatsch!« Lynley bemühte sich, vernünftig und ruhig zu sprechen, aber das, was er hinter Peters Worten las, stimmte ihn niedergeschlagen. »Und wer ist das Mädchen? Wo hast du die aufgelesen? Peter, sie ist völlig verdreckt. Sie sieht aus wie eine -«
Peter fuhr herum. »Halt sofort den Mund. Sie ist das Beste, was mir in meinem Leben je begegnet ist, damit du's genau weißt. Sie ist das einzig Gute - das mir seit Jahren passiert ist.«
Das entbehrte der Glaubhaftigkeit.
»Du nimmst wieder Drogen«, sagte Lynley. »Ich dachte, du hättest aufgehört. Ich dachte, die Kur im Januar hätte dich endlich geheilt. Aber du hast wieder angefangen. Du hast Oxford gar nicht geschmissen, stimmt's? Sie haben dich geschmissen. So ist es doch? Antworte mir, Peter.«
Aber Peter schwieg beharrlich. Lynley packte sein Gesicht zwischen Daumen und Zeigefinger und drehte seinen Kopf, so daß er nur Zentimeter von ihm entfernt war.
»Was ist es diesmal? Bist du schon beim Heroin angelangt? Oder hängst du immer noch am Kokain? Hast du versucht, beides zu mischen? Rauchst du das Zeug? Oder spritzt du es dir?«
Noch immer sagte Peter nichts. Lynley ließ nicht locker.
»Bist du jetzt zu dem Schluß gekommen, daß Drogen das einzige sind, was im Leben zählt? Und wie steht's mit deiner Freundin Sasha? Seid ihr beide dabei, eine harmonische, sinnvolle Beziehung aufzubauen? Kokain muß eine prächtige Grundlage für die Liebe sein. Eine echte Bindung gibt's doch nur zwischen Süchtigen, nicht?«
Peter blieb weiterhin stumm. Lynley zerrte seinen Bruder zu einem Spiegel und stieß ihn seinem Spiegelbild entgegen, diesem unrasierten, bleichen Gesicht mit den aufgesprungenen Lippen und der verbrannten Nase, aus der ihm der Schleim auf die Oberlippe tropfte.
»Schön siehst du aus, findest du nicht?« sagte Lynley. »Was willst du eigentlich Mutter erzählen? Daß du nicht mehr sniefst? Daß du nur eine Erkältung hast?«
Als er Peter losließ, rieb dieser sich die roten Flecken, die die Finger seines Bruders in seinem Gesicht hinterlassen hatten.
»Du wagst es, von Mutter zu reden«, flüsterte er. »Du wagst es. Ehrlich, Tommy, ich wollte, du würdest einfach krepieren.«
5
Weder Peter noch Sasha erschienen zum Mittagessen, und als hätte man sich im voraus darauf geeinigt, verlor keiner auch nur ein Wort darüber. Statt dessen konzentrierte man sich darauf, die Platten mit Garnelensalat, kaltem Hühnchen, Spargel und Artischocken herumzureichen und die beiden leeren Stühle, die einander am Ende des Tischs gegenüberstanden, zu ignorieren.
Lynley war froh über die Abwesenheit seines Bruders. Er wünschte sich Ablenkung.
Die erste bot sich kaum fünf Minuten nach Beginn der Mahlzeit, als Lynleys Verwalter um den Südflügel des Hauses herumkam und schnurstracks auf die große Eiche zuging, unter der der Mittagstisch stand. Doch seine Aufmerksamkeit
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