04 - Mein ist die Rache
jetzt in seinem Büro, um mit ihm zusammen die Bücher durchzusehen und die Konten zu prüfen. Lynley graute vor der Sitzung. Es hatte nichts damit zu tun, daß Penellin ihn auf Peters Zustand ansprechen könnte. Die innere Abwehr spiegelte auch nicht einen Mangel an Interesse an den Angelegenheiten des Guts. Die wahre Schwierigkeit lag in dem, was Interesse und Anteilnahme bedeuteten: eine wenn auch noch so kurze Rückkehr nach Howenstow.
Übermäßig lang war diesmal Lynleys Abwesenheit gewesen, sechs Monate beinahe. Er war aufrichtig genug mit sich selbst, um zu wissen, was er vermied, indem er so selten nach Howenstow kam. Es war das gleiche, was er seit Jahren vermieden hatte, indem er entweder überhaupt nicht gekommen war oder eine Schar Freunde eingeladen hatte, als wäre das Leben in Cornwall ein einziges Sommerfest und er der geistreich plaudernde, scherzende, Champagner eingießende Gastgeber. Dieses Wochenende unterschied sich in nichts von den anderen Besuchen der letzten fünfzehn Jahre. Der Entschuldigung, Deborah und ihren Vater mit vertrauten Menschen umgeben zu wollen, hatte er sich einzig bedient, um nicht allein dem einen Menschen in seinem Leben gegenübertreten zu müssen, dem er nicht ins Gesicht sehen konnte. Und doch wußte er genau, daß die angespannte Beziehung zu seiner Mutter an diesem Wochenende irgendwie geklärt werden mußte.
Er wußte nicht, wie er es anfangen sollte. Jedes Wort, das sie sprach - ganz gleich, wie harmlos die Absicht dahinter war -, wirkte wie ein Skalpell, das alte Wunden und Gefühle bloßlegte, Erinnerungen aufdeckte, die er nicht ansehen wollte; wie ein Stachel, der Taten forderte, die zu vollbringen er weder die Demut noch den Mut besaß. Um Stolz ging es zwischen ihnen, um Zorn, Schuld und Schuldzuweisung. Lynley wußte, daß sein Vater so oder so gestorben wäre. Aber mit dieser simplen Tatsache hatte er sich nie zufriedengeben können. Weit leichter zu glauben, daß ein Mensch und nicht eine Krankheit ihn getötet hatte. Er brauchte einen Sündenbock.
Seufzend stand er auf. Er sah, daß die Jalousien vor den Fenstern des Verwalterbüros zum Schutz gegen die Nachmittagssonne heruntergelassen waren. Aber er zweifelte nicht, daß hinter ihnen John Penellin auf ihn wartete, ob ihm das nun behagte oder nicht. Langsam ging er zum Haus.
Das Büro im Erdgeschoß, gegenüber dem Raucherzimmer und an das Billardzimmer anschließend, war so gelegen, daß es sowohl den Hausbewohnern als auch den Pächtern, die ihren Pachtzins zahlen wollten, leicht zugänglich war. Es war ein zurückhaltender Raum. Grünumrandeter Sisal, nicht Teppich, bedeckte den Boden. Die Wände, an denen alte Fotografien des Guts und Landkarten hingen, hatten einen einfachen Anstrich. Von der Decke herab hingen an Eisenketten zwei weißbeschirmte Lampen. In den schlichten Fichtenregalen stapelten sich die Haushaltsbücher und Rechnungshefte von Jahrzehnten. Die Aktenschränke in der Ecke waren aus Eichenholz, so mitgenommen vom täglichen Gebrauch wie der Schreibtisch und der Drehsessel dahinter. In diesem Sessel jedoch saß in diesem Moment nicht John Penellin, sondern eine magere Gestalt, zusammengezogen, als fröre sie, eine Wange in die offene Hand gestützt.
Als Lynley die offene Tür erreichte, sah er, daß es Nancy Cambrey war, die im Sessel ihres Vaters saß und nervös mit den Bleistiften in der Schreibschale spielte. Obwohl Lynley sich hier ein willkommener Vorwand geboten hätte, wieder zu gehen und seine Besprechung mit Penellin zu verschieben, zögerte er, als er Nancy sah.
Sie hatte sich unglaublich verändert. Ihr Haar, früher ein von sonnenhellen Strähnen durchzogenes Braun, hatte fast allen Glanz und alle Schönheit verloren. Ungepflegt hing es ihr spröde und leblos auf die Schultern. Ihr Gesicht, das früher rosig und zart gewesen war, mit frechen kleinen Sommersprossen auf Nase und Wangen, war ungesund blaß. Die Haut wirkte aufgedunsen, ähnlich wie die Haut eines Porträts, wenn der Maler eine unnötige Schicht Firnis aufträgt und damit eben den Effekt von Jugend und Schönheit zerstört. Alles an Nancy Cambrey sprach von solcher Zerstörung. Sie sah verwaschen aus, verbraucht, ausgelaugt.
Das gleiche konnte man von ihrer Kleidung sagen. Der formlose Kittel hatte nichts von dem pfiffigen Schick, in dem sie sich früher so gern gezeigt hatte. Und er war ihr mehrere Nummern zu groß, schlotterte wie ein Sack um ihren schmalen Körper.
Lynley war beunruhigt. Zwar war
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