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04 - Mein ist die Rache

04 - Mein ist die Rache

Titel: 04 - Mein ist die Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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vermittelte; einen Blick, mit dem er nur den Morgenrock seines Vaters sah. Ein Blitzstrahl unbändigen Glücks durchzuckte ihn, und das Wort geheilt geheilt geheilt sang in seinen Ohren, als er die Treppe hinauflief - hinaufstürmte - und in das Zimmer seiner Mutter stürzte. Doch die Tür war abgeschlossen. Und als er nach ihr rief, kam die Pflegerin seines Vaters mit dem Tablett in den Händen die Treppe herauf und mahnte ihn zur Ruhe, sagte ihm, er würde sonst den Kranken wecken. Er sagte nur: »Aber Vater ist doch ...« Dann hatte er begriffen.
    Und dann brüllte er in solcher Raserei nach ihr, daß sie die Tür öffnete und er alles sah: Trenarrow im Morgenrock seines Vaters, ihr Bett zerwühlt, die Kleider auf dem Boden verstreut, eilig hingeworfen. Und nur ein Ankleidezimmer und ein Bad trennte sie von dem Raum, in dem sein Vater im Sterben lag.
    In blinder Wut stürzte er sich auf Trenarrow. Aber er war nur ein schmaler, hochaufgeschossener Junge von siebzehn, einem Mann von 31 Jahren nicht gewachsen. Trenarrow versetzte ihm nur einen Schlag, einen Schlag mit der offenen Hand ins Gesicht, einen Schlag, wie man ihn einer hysterischen Frau gibt, um sie zu beruhigen. Seine Mutter schrie:
    »Roddy, nein!« Und es war vorbei.
    Sie fand ihn in der Mühle. Er hätte fähig sein müssen, die Fassung zu bewahren. Er hätte die Willensstärke und die Würde besitzen müssen, ihr zu sagen, er müsse zurück in die Schule, um sich auf die Prüfungen vorzubereiten. Es wäre gleichgültig gewesen, ob sie ihm glaubte. Es ging nur darum, sofort zu gehen.
    Doch er sah sie näherkommen und dachte daran, wie sehr sein Vater sie liebte, wie er nach ihr zu rufen pflegte - »Daze! Daze Darling!« -, wenn er ins Haus kam, wie sein ganzes Leben darum kreiste, sie glücklich zu machen, wie er nun in seinem Schlafzimmer lag und die Krankheit langsam seinen Körper auffraß, während sie und Trenarrow ...
    »Hure«, schrie er. »Bist du wahnsinnig geworden? Oder nur so scharf, daß jeder dir recht ist. Sogar einer, dem es nur darum geht, dich aufs Kreuz zu legen und hinterher im Pub mit seinen Kumpeln darüber zu lachen. Bist du stolz darauf, du Hure?«
    Ihr Schlag traf ihn völlig überraschend. Die ganze Zeit hatte sie reglos dagestanden und seine Beschimpfungen über sich ergehen lassen. Doch bei dieser letzten Frage schlug sie ihm mit dem Handrücken so hart ins Gesicht, daß er gegen die Wand flog und seine Lippe unter ihrem Brillantring aufplatzte. Ihr Gesicht zeigte keine Regung.
    »Das wird dir noch leid tun!« schrie er ihr hinterher. »Das wird dir noch leid tun. Euch allen beiden. Ihr werdet schon sehen. Ich sorg' dafür!«
    Und er hatte dafür gesorgt. Immer wieder. Ohne Gnade.
    »Tommy?«
    Lynley blickte auf. St. James sah durch die Bodenluke zu ihm hinunter.
    »Es wird dich vielleicht interessieren, was ich hier oben gefunden habe.«
    »Ja. Sicher.«
    Er kletterte die Leiter hinauf.

    St. James hatte nur einen Moment gebraucht, um sich über die Bedeutung dessen, was er auf dem Boden vorfand, klar zu werden. Das gewaltige Mühlrad und sein Getriebe nahmen den größten Teil des Raums ein, doch was sonst noch zu sehen war, zeigte eindeutig, was in der Mühle getrieben worden war.
    In der Mitte des Raums standen ein verrosteter Klapptisch und ein Klappstuhl. Über dem Stuhl hing ein ehemals weißes T-Shirt, und auf dem Tisch lagen neben einer altertümlichen Briefwaage ein angelaufener silberner Löffel und zwei Rasierklingen. Etwas abseits stand ein offener Karton mit kleinen Plastikbeuteln. Ein alter Strohsack unter dem Fenster war auseinandergerissen worden, das Stroh, von dem der Geruch nach Moder und Feuchtigkeit aufstieg, über den Boden verstreut. An der Wand lehnte eine dünne Matratze voll gelblicher Flecken und kleiner Brandlöcher, die von Zigaretten stammen konnten oder von den heruntergebrannten Kerzen, die in Blechdeckeln von Konservengläsern auf dem Boden standen.
    St. James beobachtete Lynley, während dieser den Dachboden inspizierte. Sein Gesicht wurde zusehends starrer.
    »Mick ist nicht nur im letzten Jahr hiergewesen, Tommy«, sagte St. James. »Und seine Besuche hier hatten mit seiner Zeitung nichts zu tun.« Er berührte leicht die Briefwaage und beobachtete den schwankenden Gewichtsanzeiger.
    »Vielleicht wissen wir jetzt genauer, warum er gestorben ist.«
    Lynley schüttelte den Kopf. Seine Stimme war tonlos. »Das war nicht Mick«, sagte er.

13
    Am selben Abend um halb acht klopfte St. James bei

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