04 - Mein ist die Rache
vielleicht noch Dreck unter den Fingernägeln von Leichen.«
Sie lachte, drehte sich herum und tätschelte ihrem Bruder die Wange, ehe sie zum Toilettentisch ging, um sich im Spiegel zu betrachten. Sie nahm Deborahs Parfüm.
»Darf ich es benutzen, Deb? Mein Parfüm finde ich nämlich auch nicht mehr. Und ihr hättet sehen sollen, wie ich nach meinen Schuhen gekramt habe! Ich war beinahe schon soweit, mir welche von Helen zu leihen. Aber dann entdeckte ich sie ganz hinten im Schrank. Ganz hinten, als hätte ich nicht die geringste Absicht, sie je wieder anzuziehen.«
»Ein merkwürdiger Platz für Schuhe«, meinte St. James mit gutmütigem Spott. »Im Schrank!«
»Er lacht mich aus, Deborah«, beschwerte sich Sidney.
»Aber wenn er nicht deinen Vater hätte, der ständig für Ordnung sorgt, wär' er verloren. Da gab's nur noch das totale Chaos.«
Sie neigte sich näher zum Spiegel. »Die Schwellung ist Gott sei Dank zurückgegangen, aber die Kratzer sind eine Pracht. Ganz zu schweigen von dem Veilchen unter meinem Auge. Ich seh aus, als hätte ich eine Wirtshausprügelei hinter mir. Glaubst du, daß jemand was sagen wird? Oder konzentrieren wir uns einfach alle darauf, Rückgrat und tadellose Manieren zu zeigen? Ihr wißt schon. Augen geradeaus und kein Schenkelgrapschen unter dem Tisch.«
»Schenkel grapschen?« fragte Deborah. »Simon, davon hast du kein Wort gesagt. Und da mach' ich mich wegen des Silbers verrückt.«
»Silber?« Sidney drehte den Kopf. »Ach, du meinst die vielen Messer und Gabeln? Vergiß es. Solang die Leute nicht anfangen, sie durch die Gegend zu schleudern, brauchst du dir nichts zu denken.« Ohne Aufforderung bauschte sie Deborahs Haar, trat einen Schritt zurück, runzelte die Stirn, griff noch einmal zu. »Wißt ihr eigentlich, wo Justin ist? Ich habe ihn heute ewig nicht gesehen. Wahrscheinlich hat er Angst, daß ich ihn gleich wieder beiße. Ich weiß gar nicht, warum er sich gestern so angestellt hat. Ich hab' ihn früher auch schon gebissen. Ich muß allerdings zugeben, daß die Umstände da ein bißchen anders waren.« Sie lachte vergnügt. »Also, wenn es zwischen uns beiden heute abend wieder kracht, dann wollen wir hoffen, daß es bei Tisch passiert. Bei den Massen von Besteck mangelt es dann wenigstens nicht an Waffen.«
Lynley fand Peter im Rauchzimmer im Erdgeschoß des Hauses. Mit der Zigarette in der Hand stand er vor dem offenen Kamin und betrachtete einen ausgestopften Rotfuchs, der in einem Glaskasten über dem Sims hing.
Peter, der seinen Bruder im Glas gespiegelt sah, sprach, ohne sich umzudrehen: »Warum hat eigentlich nie jemand dieses fürchterliche Ding da runtergenommen?«
»Ich glaube, es war Großvaters erste erfolgreiche Jagd.«
»Und das arme Vieh bekam er als Preis?«
»Wahrscheinlich.«
Lynley bemerkte, daß sein Bruder statt des Hakenkreuzes einen einfachen goldenen Stecker im Ohr trug. Er hatte eine graue Hose und ein weißes Hemd an, dazu eine lose geknotete Krawatte. Die Kleider hingen zwar viel zu groß um seinen ausgezehrten Körper, aber sie waren wenigstens sauber. Und er hatte Schuhe angezogen. Das schien Anlaß genug, erfreut zu sein, und Lynley überlegte flüchtig, ob es klug und der Mühe wert sei, es gerade jetzt, da Peters Aussehen Bereitschaft zu Konzessionen eine Aussicht auf Besserung erhoffen ließ, auf eine Konfrontation ankommen zu lassen.
Peter warf seine Zigarette in den Kamin und öffnete den Barschrank, der im Kaminsims unter dem Fuchs verborgen war.
»Das war eines meiner kleinen pubertären Geheimnisse«, bemerkte er mit einem leisen Lachen, während er sich einen Whisky einschenkte. »Jasper hat mir das Türchen gezeigt, als ich siebzehn wurde.«
»Mir auch. Eine Art Initiationsritual, vermute ich.«
»Glaubst du, Mutter hat es gewußt?«
»Ich denke schon.«
»Wie enttäuschend. Da hält man sich für so clever und hört dann, daß es genau umgekehrt ist.« Zum ersten Mal wandte er sich um und hob gutgelaunt sein Glas. »Alles Gute, Tommy. Euch beiden.«
Lynley sah die Augen seines Bruders. Sie hatten einen unnatürlichen Glanz. Er spürte einen Anflug von Furcht, drängte sie zurück und sagte nur danke, während Peter zu dem Schreibtisch unter dem breiten Erkerfenster schlenderte und dort mit den Dingen zu spielen begann, die auf der mit Leder eingefaßten Löschunterlage lagen. Er ließ den Brieföffner kreiseln, hob den Deckel eines silbernen Tintenfasses, schob einen Ständer mit alten Kirschholzpfeilen hin
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