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04 - Mein ist die Rache

04 - Mein ist die Rache

Titel: 04 - Mein ist die Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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betrogenen Ehemanns.«

    »Ich war seit mehreren Jahren nicht mehr hier«, sagte Lynley, als er mit St. James durch das Tor in der Mauer von Howenstow trat und sie den langsamen Abstieg zum Wäldchen begannen. »Weiß der Himmel, in was für einem Zustand die Mühle heute ist. Vielleicht ist sie nur noch eine Ruine. Ein paar Jahre Vernachlässigung genügen, und schon stürzen die Dächer ein, die Balken verfaulen, die Böden brechen. Ich war erstaunt zu hören, daß sie überhaupt noch steht.«
    Er machte Konversation, weil er hoffte, dadurch Erinnerungen in Schach halten zu können, die nur darauf warteten, ihn zu überfallen; Erinnerungen, die eng verknüpft waren mit der Mühle und mit einem Teil seines Lebens, dem er mit seinem eigensinnigen Schwur den Rücken gekehrt hatte. Es war ein flüchtiges Bild seiner Mutter, wie sie durch den Wald schritt; bloß eine Illusion, die versuchsweise an der verschlossenen Tür rüttelte. Lynley blieb stehen und zündete sich in aller Ruhe eine Zigarette an.
    »Wir waren gestern auch hier«, bemerkte St. James. Er ging ein paar Schritte voraus und machte halt, als er merkte, daß Lynley zurückgeblieben war. »Das Rad ist völlig zugewachsen.«
    »Das wundert mich nicht. Da gab es immer Probleme, soweit ich mich erinnere.«
    »Und Jasper meint, daß die Mühle benutzt wird? Von wem? Und wozu? Zum Pennen?«
    »Darüber hat er nichts gesagt.«
    St. James nickte und ging weiter. Und da weitere Ablenkungsmanöver zwecklos zu sein schienen, folgte ihm Lynley.
    Er war erstaunt zu sehen, daß die Mühle sich nur wenig verändert hatte, seit er das letzte Mal hier gewesen war; beinahe so, als hätte jemand sich bemüht, sie instand zu halten. Die Mauern brauchten einen frischen Anstrich - an manchen Stellen schimmerte der rohe Stein durch -, und das Balkenwerk war größtenteils gesplittert, aber das Dach war in Ordnung, und abgesehen von einer Scheibe, die im einzigen Fenster im oberen Stockwerk fehlte, wirkte der Bau so stabil, als könnte er gut noch hundert Jahre überdauern.
    Sie stiegen die alten Steinstufen hinauf. Ihre Füße glitten in die flachen Mulden, die tausendfaches Hinauf und Hinunter in jener Zeit, als die Mühle noch in Betrieb gewesen war, ausgehöhlt hatten. Die Tür, deren Farbe von Wind und Wetter verblaßt war, stand halb offen. Das von Feuchtigkeit aufgequollene Holz war verzogen, so daß die Tür nicht mehr richtig schloß.
    Sie traten ein, blieben stehen, sahen sich um. Der untere Raum war fast leer, erleuchtet von dünnen Sonnenstrahlen, die durch Lücken in den verschlossenen Fensterläden eindrangen. An der hinteren Wand lag ein modernder Haufen Säcke neben einem Stapel Holzkisten. Unter einem der Fenster standen von Spinnweben überzogen ein steinerner Mörser und ein Stößel, und von einem Wandhaken hing eine Rolle Seil. Ein kleines Bündel alter Zeitungen lag in einer Ecke des Raums. Lynley wartete, während St. James hinging, sie sich anzusehen.
    »Der Spokesman«, sagte er, eine hochhaltend. »Mit Anmerkungen und Korrekturen im Text. Und einem neuen Entwurf für den Kopf.« Er legte das Blatt wieder zurück.
    »Kannte Mick Cambrey die Mühle, Tommy?«
    »Wir waren als Jungen ein paarmal hier, ja. Aber diese Zeitungen sind alt. Es muß länger her sein, daß er hier war.«
    »Hm. Ja. Sie sind vom April letzten Jahres. Aber es war auch kürzlich noch jemand hier.«
    St. James deutete auf Fußabdrücke im Staub des Fußbodens, die zu einer Wandleiter führten. Über sie gelangte man auf den Boden mit dem Gestänge und den Zahnrädern, die den gewaltigen Mühlstein angetrieben hatten. St. James untersuchte die Leitersprossen, rüttelte an drei von ihnen, um ihre Festigkeit zu prüfen, und nahm den mühsamen Aufstieg in Angriff.
    »Leitern sind nicht gerade mein bevorzugtes Terrain«, bemerkte er ironisch.
    Lynley sah ihm nach. St. James erwartete, daß er ihm folgte, das wußte er. Er konnte sich nicht länger der Macht der Erinnerungen entziehen, die die Mühle - und noch mehr der obere Boden - wachrief. Denn dort oben hatte sie ihn damals nach stundenlanger Suche gefunden, dort oben, auf dem Boden, wo er sich vor ihr und dem Wissen verkrochen hatte, auf das er unerwartet gestoßen war.
    Im Laufschritt von der Bucht herauf durch den Garten eilend, hatte er nur einen flüchtigen Blick auf den Mann erhascht, der an einem Fenster in der ersten Etage vorübergegangen war; einen Blick, der nichts als einen Eindruck von Körpergröße und Statur

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