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04 - Spuren der Vergangenheit

04 - Spuren der Vergangenheit

Titel: 04 - Spuren der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Weinland
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stellt er keine Gefahr dar, oder?«
    »Es gibt Leute, die denken, er könnte die Welt zerstören. El Mundo titelt sogar damit.«
    »Dass die Welt untergeht?«
    »Dass der Komet die Umlaufbahn der Erde kreuzt.«
    Tom lächelte. »Den wenigsten Menschen ist klar, was das bedeutet«, sagte er. »’Die Erdbahn’ – das ist ein so gewaltiges Gebiet, dass die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenpralls mit einem Kometen verschwindend gering ist.«
    Sie wiegte skeptisch den Kopf. »Sind Sie ein Fachmann?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nur was den Maya-Kalender angeht. Sie kennen doch gewiss diese ganzen Weltuntergangstheorien für den Dezember 2012.«
    Sie schien von seinen Worten verunsichert zu sein. »Und …?«, fragte sie zaghaft.
    »Alles Unsinn«, antwortete Tom. »Das Einzige, was passiert, ist, dass der Kalender auf ein Datum umspringt, mit dem er einst begonnen hat. Aber Ihnen das zu erklären würde zu weit führen. Seien Sie gewiss, dass noch niemand durch den Gebrauch eines Kalenders ums Leben gekommen ist.«
    Plötzlich musste sie auch lachen. »Na dann!« Ihr Blick fiel auf eine Art Buch, das auf dem Tisch am Fenster lag. Es sah aus, als würde es aus einer Museumsvitrine stammen. »Ist es das?«, fragte sie.
    Er folgte ihrem Blick. Für einen Moment zögerte er, dann nickte er. »Ja, das ist die Schrift, die ich übersetzen will.«
    »Für wen.«
    »Für mich.«
    Sie nickte. »Woher haben Sie es?«
    Obwohl sie es nicht aussprach, hörte er sofort heraus, was sie eigentlich damit wissen wollte.
    »Ich habe es nicht gestohlen«, sagte er, »falls Sie das meinen. Im Gegenteil könnte man sagen, ich habe es gerettet. Auch wenn … verschiedene Leute das anders sehen.«
    »Ich will es gar nicht wissen.«
    Das kaufte er ihr nicht ab. »Hören Sie, Maria Luisa, ich versichere Ihnen, dass ich mir nichts habe zuschulden kommen lassen. Aber haben Sie Verständnis, wenn ich Ihnen nicht mehr verrate als unbedingt nötig. Ich will Sie in nichts hineinreiten.«
    »Das heißt, ich sollte jetzt besser gehen.«
    Er zuckte mit den Achseln. »Fürs Erste. Aber kommen Sie bitte wieder. Vielleicht brauche ich noch einmal Ihre Hilfe.«
    Unversehens trafen sich ihre Blicke, und beide erkannten, dass in dem des anderen mehr lag als nur eine Bitte und die Bereitschaft zu helfen.
    Errötend eilte Maria Luisa aus dem Zimmer.
    6.
    Vergangenheit
    Der gefangene Krieger der Tutul Xiu war mit Seilen straff an den Opferstein gefesselt. Der entblößte sehnige Körper des Mannes glänzte komplett in blauer Farbe.
    Oxlaj blieb am Ende der langen Treppe stehen und begutachtete ihn. Das Erklimmen der Pyramide über die Stufen, die so zahlreich wie die Tage eines Jahres waren, hatte den Opferpriester kaum ermüdet. Zu aufgeputscht war er von dem Trank, den er vor Verlassen seines Hauses zu sich genommen hatte. In seiner Brust pochte das Herz so kräftig, als wollte es die Rippen durchbrechen.
    Bevor er sich dem Todgeweihten näherte, hinter dem sich bereits die vier Helfer, die Chac , postiert hatten, huldigte er noch dem Kaziken, der auf einem hölzernen Stufenpodest Platz genommen hatte, zusammen mit seinem engsten Hofstaat und seinem Sohn.
    Ts’onot schien den Atem anzuhalten, als Oxlaj sich dem Podest näherte. Seit ihrer gestrigen Begegnung hier oben hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen. Oxlaj war dem Jüngling und dessen drängenden Fragen ausgewichen. Erst einmal musste er selbst das erlebte Phänomen verarbeiten.
    Der kurze Aufenthalt in dem seltsamen Raum hatte ihn verändert. Natürlich bemerkte dies auch Ah Ahaual – und es schien den Herrscher nicht milde zu stimmen. Nachdem Oxlaj gegrüßt hatte, zischte der Kazike ihm zu: »Was hast du dir herausgenommen, den Opferstein zu versetzen?« Ah Ahaual wies zu der Stelle, wo der Todgeweihte mit glasigen Augen darauf wartete, dass sein unausweichliches Schicksal sich erfüllte.
    Noch am späten Abend hatte Oxlaj Arbeiter bestellt und den tonnenschweren Steinblock um drei Schritte verrücken lassen. Bis der Zugang zur Jenseitswelt weit genug vom Stein entfernt lag, als dass er ihn bei der Opferung ungewollt geöffnet hätte.
    »Die Götter haben es mir aufgetragen, Erhabener«, entgegnete er.
    Die Erklärung klang selbst in Oxlajs eigenen Ohren unglaubwürdig. Welchen Grund sollten die Götter haben, nach so vielen Jahren die Architektur der Pyramide verändern zu wollen? Aber das war ihm egal. Seine Loyalität war ins Wanken geraten. Seit er das Tor durchschritten hatte, hielt er

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