04 The Vampire Diaries - Stefan's Diaries - Nebel der Vergangenheit
alles, was er hatte, genommen, um meine Schwester und mich hierher zu schicken. Er dachte, wir würden heiraten, eine Familie gründen und niemals Angst davor haben müssen, Hunger zu leiden…« Violet stieß ein kurzes, schrilles Lachen aus, das so gar nicht zu ihrer süßen, unschuldigen Persönlichkeit passen wollte. Ich zuckte überrascht zusammen. Trotz ihrer Jugend hatte sie bis jetzt offensichtlich viel durchgemacht.
»A ber das Leben hat sich nicht so entwickelt wie geplant«, sagte ich langsam. Ich konnte ihr Leid nur allzu gut nachvollziehen.
Violet nickte mit bekümmerter Miene. »W ir wollten Schauspielerinnen oder Sängerinnen werden. Nun, ich wollte das. Cora hat das wahrscheinlich mehr aus Spaß gesagt. Aber ich dachte, ich könnte vielleicht eine Rolle im Chor einer Show bekommen«, sprach sie nachdenklich weiter. »W ir haben es auch tatsächlich versucht, aber beim Vorsingen hat man uns nur ausgelacht. Deshalb haben wir uns dann in verschiedenen Läden vorgestellt, um als Verkäuferinnen zu arbeiten. Aber sobald die Leute unsere Kleider sahen und unseren Akzent hörten, schickten sie uns weg. Also gingen wir einfach immer weiter durch die Stadt und waren froh, wenn wir jemanden trafen, der auch einen irischen Akzent hatte. Schließlich begegneten wir Mary Francis, der Cousine eines Jungen aus unserer Heimatstadt. Sie arbeitete im Ten Bells und sagte, sie würde ein gutes Wort bei Alfred einlegen. Als wir hinkamen, mochte Alfred Cora sofort. Aber er meinte, ich sähe zu jung aus. Also hat er mir Arbeit als Spülmädchen gegeben.«
Ich musste eine Grimasse geschnitten haben, denn der Anflug eines Lächelns glitt über Violets Gesicht.
»I ch fand, dass Cora es schlimmer getroffen hatte. Sie musste mit Alfred flirten. Ich weiß, dass das auch der Grund ist, warum er mir überhaupt Arbeit gegeben hat und warum er uns erlaubt hat, ein Zimmer bei ihm zu mieten. Nach einer langen, arbeitsreichen Nacht, wenn Cora und ich endlich im Bett lagen, erzählten wir einander immer Geschichten. Und sie sagte immer, dass die Arbeit im Pub mir vielleicht eines Tages noch nützlich sein könnte. Man bekommt viel von den Menschen mit, kann ihre Charaktere studieren und sehen, wie sie miteinander umgehen. Sie ermunterte mich immer und sagte, dass wir es noch einmal versuchen könnten, Schauspielerinnen zu werden, wenn wir erst genug Geld verdient hatten. Sie hat nie aufgegeben.«
»U nd Sie, haben Sie aufgegeben?«, fragte ich sanft.
»N un, manchmal begreift man an einem bestimmten Punkt, dass Träume nichts anderes sind als– Träume. Ich denke, dass ich das einfach akzeptieren sollte.« Nachdenklich blickte sie aus dem Fenster. »U nd Cora…« Sie schüttelte den Kopf. »W o sie wohl sein mag?«, rief sie kläglich und vergrub das Gesicht in ihren mageren Händen. »I ch hoffe die ganze Zeit, dass Cora ein besseres Leben gefunden hat. Und zwar nicht im Himmel. Ich meine, hier. Ein besseres Leben, von dem sie mir vielleicht nichts erzählt hat, weil sie nicht wollte, dass ich gekränkt bin oder eifersüchtig? Es ist die einzige Möglichkeit, die mir einfällt«, murmelte Violet, ohne den Blick zu heben.
»I ch weiß, dass Cora in Sicherheit ist.« Natürlich hatte ich nicht die leiseste Ahnung, aber sobald ich es ausgesprochen hatte, entspannte sich Violet. Mir tat dieses Mädchen unendlich leid und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als ihr helfen zu können. Plötzlich hatte ich eine Idee.
»H ören Sie«, begann ich. »I ch kann dafür sorgen, dass Sie Ihre Arbeit wiederbekommen, und ich garantiere, dass Alfred Sie nicht belästigt. Ich kann zwar nicht versprechen, dass die Arbeit im Pub ideal sein wird, aber ich verspreche Ihnen, dass es besser sein wird als zuvor«, fügte ich hinzu, wohl wissend, dass ich zuallererst Nahrung zu mir nehmen musste, bevor ich in der Lage wäre, Alfred mit einem wirksamen Bann zu belegen.
»D anke«, murmelte Violet. Ein schwaches Lächeln umspielte ihre Lippen. »I n meinem Land ehren wir am Stephanstag den Heiligen, der die Armen beschützt«, sagte sie. »U nd ich denke, in diesem Jahr ist der Tag für mich bereits früher als sonst gekommen. Vielen Dank, heiliger Stefan.«
Ich wandte den Blick ab; ihre Bewunderung war mir unangenehm. Hätte sie meine wahre Natur gekannt, dann hätte sie gebetet, dass ihr Heiliger sie vor mir beschützte. »S ie brauchen sich nicht zu bedanken. Bleiben Sie einfach hier und ruhen Sie sich aus. Ich werde mit Alfred sprechen und sehen,
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