04 The Vampire Diaries - Stefan's Diaries - Nebel der Vergangenheit
in Sicherheit, aber wie lange noch? Alles, woran ich denken konnte, war der Ausdruck des Entsetzens auf Violets Gesicht, ihre leise Stimme, die Kraft, die sie bereits hatte aufbringen müssen, als sie ihre Familie in Irland verließ, um ihren Traum von einem besseren Leben zu verwirklichen. Ihre jugendliche Unschuld weckte in mir nostalgische Erinnerungen an die Zeit, als ich so alt gewesen war wie sie. Es war meine Schuld, dass sie ihre Unterkunft und ihre Arbeit verloren hatte, deshalb wollte ich sie umso besser beschützen.
Menschen sind unser Verderben. Wenn wir uns auf sie einlassen, sind wir geliefert. Dein Herz ist zu weich. Immer und immer wieder hatte Lexi mir das im Laufe der Jahre eingebläut. Meist hatte ich nur stumm genickt, aber manchmal konnte ich mir die Frage nach dem Warum nicht verkneifen. In Lexis Gesellschaft war es leicht, Menschen aus dem Weg zu gehen, doch sobald ich auf mich allein gestellt war, schien ich ihre Gesellschaft instinktiv zu suchen. Warum sollte das so falsch sein? Nur weil ich ein Ungeheuer war, bedeutete das nicht, dass ich die menschliche Kameradschaft nicht länger schätzte.
Na schön, und wann wird mein Herz hart werden?, hatte ich ungeduldig gefragt.
Lexi hatte gelacht. Niemals, hoffe ich zumindest. Denn das ist der Teil von dir, der dich menschlich macht. Vermutlich ist er dein Segen und dein Fluch zugleich.
Auf halbem Weg nach Whitechapel kam ich an einem kleinen Park vorbei. Ohne zu zögern ging ich hinein. Mein Hunger war inzwischen immer größer geworden und wenn ich in den Pub zurückkehrte, musste ich bei Kräften sein. Anders als von dem albtraumhaften Dutfield Park in der vergangenen Nacht schien von diesem üppigen, grünen Fleckchen keine Bedrohung auszugehen.
Am Himmel waren wieder Wolken aufgezogen und tauchten die ganze Stadt in ein düsteres Licht. Es war zwar erst Mittag, aber von der Sonne war nichts zu sehen. Die Luft fühlte sich feucht und schwer an, obwohl keine Regentropfen fielen. Das Wetter war hier ganz anders als in Ivinghoe, wo es mir irgendwie ehrlicher zu sein schien; wenn es nach Regen aussah, regnete es auch bald. Hier dagegen war nichts so, wie es auf den ersten Blick wirkte.
Ich schnupperte. Auch wenn ich sie nicht sehen konnte, wusste ich, dass überall Tiere waren; sie versteckten sich unter dem Gebüsch oder huschten durch Tunnel, die sie direkt unter dem Gras gegraben hatten. Ich ging auf eine Gruppe von dichten Bäumen zu und hoffte, einen Vogel oder ein Eichhörnchen fangen zu können, ohne dass jemand etwas bemerkte.
Da bewegte sich etwas im Unterholz und ich versteifte mich. Ohne nachzudenken, verließ ich mich ganz auf meine geschärften Vampirsinne, griff ins Gebüsch und fing ein fettes graues Eichhörnchen. Ich grub der winzigen Kreatur meine Zähne in den Hals, saugte ihr das Blut aus und versuchte, nicht zu würgen. Stadteichhörnchen schmeckten anders als Landeichhörnchen, und das Blut dieses Exemplars hier war ganz besonders wässrig und bitter. Trotzdem, es würde genügen müssen.
Ich warf den Kadaver ins Gebüsch zurück und wischte mir den Mund ab. Plötzlich hörte ich ein Rascheln vom anderen Ende des Parks. Ich wirbelte herum und erwartete fast, Lucius zu sehen, bereit für einen Kampf. Aber nichts dergleichen.
Ich seufzte; mein bis eben noch vor Hunger rebellierender Magen beruhigte sich endlich.
Gestärkt machte ich mich auf den Weg zum Ten Bells, um Alfred dazu zu bringen, Violet wieder anzustellen. Im Pub roch es schal und scharf, als hätte sich der Geruch von Bier mit dem ungewaschener menschlicher Leiber vermischt.
»A lfred?«, rief ich, während meine Augen sich einmal mehr an den fast nachtdunklen Schankraum gewöhnten. Ich war nicht gerade erpicht auf das erneute Zusammentreffen mit ihm. Alfred war abscheulich und obwohl mein Bann dafür sorgen würde, dass er Violet in Zukunft freundlich behandelte, hasste ich den Gedanken daran, dass sie hierher zurückkehren sollte. Aber ich wusste, dass es das Beste für sie war. Denn je mehr sie mit mir zu tun hatte, umso größer war die Gefahr, in der sie schwebte. Das war so klar und deutlich wie die Blutnachricht der vergangenen Nacht.
»A lfred?«, rief ich abermals und in diesem Moment tauchte er aus der Küche auf. Er wischte sich die Hände an seinen Hosen ab, seine Wangen waren rot und die Augen blutunterlaufen.
»S tefan. Violets Kerl. Na, Sie sind wohl fertig mit ihr, was? Aber ich nehm sie nicht zurück«, erklärte er entschieden und
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