04 The Vampire Diaries - Stefan's Diaries - Nebel der Vergangenheit
gelang es mir nicht; ich hatte keine Ahnung, wer der Liebhaber und wer der Schurke war, und die Liedtexte erschienen mir reichlich albern. Also beobachtete ich stattdessen Violet. Im Schein der Bühnenbeleuchtung wirkte sie so verzückt und so glücklich, wie ich sie während der kurzen Zeit unserer Bekanntschaft noch nie gesehen hatte.
Als sich der Vorhang endgültig senkte, stand ich auf und spendete zusammen mit dem Rest des Publikums höflich Beifall.
»O h, Stefan, danke!«, rief Violet ausgelassen und schlang impulsiv die Arme um mich. »I ch will nicht, dass dieser Abend jemals endet!«
»G ern geschehen«, antwortete ich verlegen, während ich die umjubelte Hauptdarstellerin beobachtete, die dem Publikum Küsschen zuwarf, während die frenetische Menge sie mit Beifall und Blumen überschüttete.
Violet seufzte theatralisch, außerstande ihren Blick loszureißen. »C ora hätte in diesem Stück wirklich mitspielen müssen«, erklärte sie mit entschlossener Stimme. »C harlotte Dumont hat ihr nichts voraus.«
»W er?«, fragte ich. Der Name klang irgendwie vertraut in meinen Ohren.
»N un, Charlotte Dumont. Die Schauspielerin.«
»S ie war hier ?«, fragte ich. Jetzt fiel es mir wieder ein: Charlotte war jene Frau, mit der Graf de Sangue wahrscheinlich ein Verhältnis hatte. Vielleicht war der Besuch dieser Revue doch keine Zeitverschwendung gewesen.
»S te-fan!«, tadelte Violet mich spielerisch. »S ie steht dort unten auf der Bühne und hat die Hauptrolle gespielt. War sie nicht wunderbar?« Violets Augen tanzten, aber ich achtete kaum darauf. Ich suchte mit Blicken die Menge nach meinem Bruder ab.
»A ch, nur ein einziges Mal wenigstens möchte ich auch auf der Bühne stehen«, fuhr Violet sehnsüchtig fort, ohne meine Geistesabwesenheit zu bemerken, »u nd mich einzigartig fühlen. Wie als kleines Kind. Sie wissen schon, wenn Ihre Eltern denken, Sie seien etwas Besonderes, und Sie ihnen natürlich Glauben schenken?«
Anmutig raffte Violet ihre Röcke, um die geschwungene Treppe des Theaters hinunter und nach draußen zu gehen. Und in diesem Moment richtete sich meine ganze Aufmerksamkeit wieder nur auf sie. Während ich sie mit einigen Schritten Abstand beobachtete, war ich erstaunt darüber, wie sehr sich ihr heutiger Anblick von dem des traurigen Schankmädchens der vergangenen Nacht unterschied. In ihrer eleganten Robe strahlte sie das vornehme Selbstbewusstsein einer Frau aus, die im Luxus aufgewachsen war.
»S ie sind etwas Besonderes«, sagte ich und meinte es auch so. Sie war charmant und witzig und ich wusste, dass sie, sobald sie an sich selbst glaubte, genügend Menschen finden würde, die auch an sie glaubten.
»N un, vielen Dank«, entgegnete Violet kokett und genoss es ganz offensichtlich, dass sich einige Köpfe bewundernd nach ihr umdrehten. Sie lächelte selig.
»W as wollen wir jetzt unternehmen?«, fragte sie mit leuchtenden Augen.
Mittlerweile standen wir an der frischen Luft vor dem Theater. Ich schaute mich um. Trotz der späten Stunde war die Straße noch voller Passanten. Einige Schritte weiter entfernt bemerkte ich zahlreiche Leute, die durch eine kleine Hintertür mit der Aufschrift BÜHNE verschwanden. In einem Sekundenbruchteil traf ich meine Entscheidung.
»I ch habe eine Idee«, sagte ich. »W ir werden Charlotte kennenlernen.« Mit einem gewinnenden Lächeln marschierte ich zur Bühnentür.
»N ame?«, fragte ein kleiner Mann mit schwarzem, pomadisiertem Haar, ohne den Blick von dem ledergebundenen Buch in seinen Händen zu heben.
»N ame?«, wiederholte ich mit gespielter Verwirrung und versuchte, ihn dazu zu bringen, zu mir aufzuschauen.
»J a, Ihr Name«, wiederholte der Mann mit übertriebener Geduld und blickte tatsächlich auf. »Z um Fest haben nur Personen Zutritt, die auf der Gästeliste stehen.«
»S ir Stefan Pine. Und meine Ehefrau, Lady Violet«, fügte ich hinzu, während Violet an meiner Seite entzückt kicherte. Das vage Nuscheln, mit dem der Mann sprach, ließ vermuten, dass er während der Vorstellung getrunken hatte und seiner Aufgabe, diese Tür zu bewachen, nicht allzu diensteifrig nachkam. Es reichte also aus, ihn eher zu verwirren als zu bannen.
»J a, Sir«, sagte er und würdigte die Gästeliste in seinen Händen kaum eines Blickes, als er uns einließ.
Violet riss erstaunt die Augen auf und ich legte verschwörerisch einen Finger an die Lippen, während wir dem Strom der Menschen in den höhlenartigen Gang hinter der Bühne
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